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"Zukunft statt Zocken" – Wolfgang Kessler kennt Beispiele für die Welt, wie sie sein könnte.

Als promovierter Währungsexperte und ehemaliger Mitarbeiter des IWF weiß Wolfgang Kessler, wie es läuft im internationalen Finanzwesen. In seinem Buch zeigt er an realen Beispielen auf, wie nachhaltiges Wirtschaften funktionieren kann.

Es gibt durchaus Alternativen, und das nicht nur in der Theorie.

„Wenn die Pferde genug Hafer bekommen, fallen auch mehr Pferdeäpfel für die Spatzen ab.“ Diese als Pferde-Spatzen-Theorie bekannt gewordene These, die durch ein Zitat des ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagans und seiner britischen Amtskollegin Margaret Thatcher zu neuem Ruhm gelangte, hat viele Jahrzehnte unser Wirtschaften bestimmt. Doch das wirtschaftliche Wachstum zeigt in der aktuellen Gegenwart auch seine Grenzen. Und zwar immer dann, wenn die Schattenseiten an Bedeutung und Aufmerksamkeit gewinnen: die auch in Deutschland immer weiter klaffende Schere zwischen Arm und Reich, die weiterhin vom Wohlstand der Familien abhängigen Chancen für eine gute Bildung und Ausbildung, die immer schneller voranschreitenden Folgen unseres Konsums und Wirtschaftens für Klima und Umwelt und nicht zuletzt wachsende Abhängigkeiten der Menschen vom internationalen Geld- und Warengeschäft.

Die Liste lässt sich scheinbar endlos fortschreiben.

Waren es nicht immer wir Menschen, die aus Unwissenheit oder eigenem Interesse Probleme verursacht haben – und sie zugleich auch wieder zu lösen wussten? Es gibt durchaus Alternativen, und das nicht nur in der Theorie.

Unter dem Titel „Zukunft statt Zocken“ beschreibt Wolfgang Kessler an praktischen Beispielen, die in eine ganz andere Richtung zeigen, dass Veränderungen möglich sind.

6 Ideen, wie es auch besser geht

1. Städte kaufen ökofair

In der kleinen Stadt Neuss ist 1994 bekannt geworden, dass die Pflastersteine auf dem neuen Marktplatz von Kinderhänden im vietnamesischen Steinbruch geschlagen wurden. Man hat schnell reagiert und für zukünftige Vergaben verfügt, dass die Normen der ILO (Internationale Arbeitsorganisation) zu beachten sind. Die Stadt Potsdam folgte 1999 als erste Kommune dieser Richtlinie, Düsseldorf machte die Einhaltung der ILO-Normen für sämtliche Beschaffungsmaßnahmen und Aufträge zur Bedingung. Heute folgen mehr als 250 Kommunen diesem Beispiel, und der Prozess geht seinen Weg. Das Potenzial ist groß: Wenn alle 11.000 Kommunen in Deutschland es genauso halten, können jährlich ca. 360 Mrd. Euro sozial- und umweltgerechter als bisher investiert werden. Dass die Materialkosten dabei meist nur rund ein bis zwei Prozent ausmachen, wissen viele nicht.

Krisensicher mit sauberen Händen.

2. GLS-Gemeinschaftsbank

Obwohl die von Anthroposophen gegründete Genossenschaftsbank übliche Konten und Anlagemöglichkeiten bietet, agiert sie dennoch ganz anders als andere Institute: Sie hält sich von jeder Form spekulativer Anlagen fern. Und sie überlässt den Sparern die Entscheidung, wo ihre Gelder investiert werden sollen. Dabei ist die Auswahl reduziert – und zwar auf ökologisch und sozial verträgliche sowie nachhaltig angelegte Projekte. Die Folge: In der sogenannten Wirtschaftskrise, die gerade für Geldanlagen herbe Einbußen zur Folge hatte, haben die Anleger der GLS-Gemeinschaftsbank keinen Cent verloren. Das Modell überzeugt – nicht nur die wachsende Kundenzahl belegt das, sondern auch das bewegte Volumen. Der Zusammenschluss sogenannter Nachhaltigkeitsbanken kann sich heute mit den 29 größten systemrelevanten Banken messen.

3. Basler Stromabgabe

Menschen gehen sparsam mit den Ressourcen um, die viel kosten. Diese These hat die Stadt Basel als Wahrheit nachgewiesen, als sie 1998 die Stromabgabe um 20 Prozent erhöhte. Dabei ging es sozialgerecht zu, denn die Abgabe wurde konsequent wieder ausgezahlt, und zwar an die Unternehmen als anteilige Lohnsumme und den Bürgern als Pauschale pro Person. Der Effekt ist einfach: Wer wenig verbraucht, zahlt weniger, erhält aber gleichviel zurück wie der verschwenderische Nachbar. Die Folge ist ein Rückgang des Stromverbrauchs auf ein Niveau von gut fünf Prozent unter dem schweizerischen Durchschnitt.

4. Genossenschaften

Genossenschaften sind ein Relikt der Vergangenheit. Stimmt nicht ganz, denn sie erleben eine Renaissance: Jährlich kommen rund 200 bis 250 neue Genossenschaften in Deutschland hinzu, so die Aussage Andreas Wieges vom Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverband. Angefangen von Wohnungsbaugenossenschaften, deren Mitglieder sich von institutionellen und privaten Investoren bedrängt fühlten, über Solar- und Biogasanlagen-Betreiber oder auch als Organ für Unternehmensnachfolgen erleben Genossenschaften heute einen ungeahnten Boom.

Genauso gut, aber schneller verfügbar.

5. Bürgerversicherung

In Deutschland seit Jahren diskutiert, ist es in Österreich längst Realität: Das Gesundheitssystem wird von der Bürgerversicherung getragen und es ist billiger als in Deutschland. Rund halb so teuer ist für Arbeitnehmer und Arbeitgeber die Versicherung in Österreich und alle Bürger haben die gleiche Versicherung. Familienmitglieder sind mitversichert. Nur Zusatzleistungen können optional über private Versicherer ergänzt werden, ansonsten können Wahlleistungen wie in Deutschland gegen Zuzahlungen in Anspruch genommen werden. Die medizinischen Leistungen werden als gleichwertig wie in Deutschland angesehen. Ein großer Unterschied zum deutschen System: Hausärzte sind in der Regel noch am gleichen Tag terminlich verfügbar und auch für akute Operationen muss man in Österreich nicht lange warten.

6. Handy ohne Ausbeutung

Seit 2013 bietet eine niederländische Firma ein faires Smartphone an (www.fairphone.com), inzwischen gibt es die zweite Generation. Die Rohstoffe für handelsübliche Smartphones stammen oft aus Afrika, Asien und Südamerika, darunter etliche Edelmetalle wie Gold, Silber, Kobalt, Zinn und Coltan. Für das Fairphone werden diese Rohstoffe aus zertifizierten Quellen bezogen, die soziale Standards erfüllen. Aber auch in der Materialwahl wie z.B. dem Gehäusekunststoff geht man andere Wege und setzt Recyclingmaterialien ein. Außerdem ist das Gerät im Falle eines Defektes reparierbar - Ersatzteile werden vom Hersteller vorgehalten und preisgünstig angeboten. Apple hat Interesse angemeldet. Ob es ein faires iPhone geben wird, ist aber unklar.

Neben diesen Beispielen nennt Wolfgang Kessler weitere internationale Initiativen, in denen die Menschen ihren Mut zur Veränderung bewiesen haben: Das bedingungslose Grundeinkommen in einer sozial schwierigen Gemeinde in Namibia und seine positiven Folgen für die lokale Wirtschaft. Die staatlich verordnete, alljährliche Messung des Bruttosozialglücks in Bhutan und die dadurch gewonnenen Einsichten für die Entscheidung von Großinvestitionen und wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen des Landes. Die Einführung einer alternativen Währung in der brasilianischen Gemeinde Las Palmas und das anschließende Wachstum der Wirtschaft durch Kleinkredite und der stete Rückgang der Arbeitslosigkeit.

Veränderungen sind möglich – oder?

Wolfgang Kessler gibt konkrete Hinweise darauf, was wir verändern können. Die Beispiele zeigen, dass ein anderes Leben und Wirtschaften möglich ist. Welche Möglichkeiten in jedem von uns stecken, hebt er immer wieder hervor. Denn: Was nicht gekauft wird, wird nicht produziert, und was nachgefragt wird, ist es wert, hergestellt und weiter entwickelt zu werden. Zusammengefasst heißt das: Es gibt Alternativen.

Die Welt geht uns alle etwas an – sehen Sie das auch so?

Auch wenn in unserem Produktions- und Konsumverhalten vieles noch fairer gestaltet werden kann, gibt es schon jetzt gute Beispiele für sozialverträgliche Geschäftsmodelle. Vielleicht kennen Sie ja auch Produkte, die Probleme mit Umwelt oder Menschen lösen, anstatt sie zu ignorieren. Oder Sie finden, dass in einem Bereich genau diese Ideen noch fehlen. Erzählen Sie uns davon!

Zukunft statt Zocken

Kessler, Wolfgang (2013)
Zukunft statt Zocken
Taschenbuch, Publik Forum (Verlag)
112 Seiten

Siehe: www.amazon.de/Zukunft-statt-Zocken-Alternativen-entfesselten/dp/3880952531/