Eine Holzfassade, die ohne weitere Materialien auskommt
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Zirkularität als neue Zukunftsrendite – Teil 1.

Die Diskussionen unter dem Kürzel ESG gewinnen mehr Raum und das Wissen rund um EU-Taxonomie und Co. kommt langsam in der Breite der Branche an. Daher soll dieser Beitrag aufzeigen, wo wir als Branche – eingeordnet in den größeren Kontext – stehen. Teil 2  stellt dann einen Praxisbezug her und widmet sich den Entwicklungen, mit denen Sie planen sollten.


Dieser Beitrag erschien zuerst im Magazin "ESG kompakt" für die FondsForum Plattform. Autor ist Jürgen Utz (Leiter Nachhaltigkeit bei der LIST Gruppe), der im Rahmen der ESG Konferenz am 27./28. April 2023 einen Vortrag zum Thema "Biodiversität" gehalten hat. Schwerpunkt in diesem Artikel ist das Thema Zirkularität.

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Veränderungen als neues Normal.

Wir leben in dynamischen Zeiten, manche nutzen schon den Begriff der Polykrise. Die Veränderungen bei der Energieverfügbarkeit, die aktuelle Inflation- und Zinsentwicklung, unterbrochene Lieferketten, ein Fachkräftemangel und das zunehmend instabile Klima setzen die Fundamente unseres wirtschaftlichen Wohlstands unter Druck.

Was also tun? Ich bin davon überzeugt, dass eine ernsthafte Problembestimmung der Ausgang jedes konkreten, bedacht klugen Handelns sein sollte. Diesem Satz stimmen innerlich wohl die meisten Leser:innen zu. Aber er ist wunderbar abstrakt und genau das ist ein Teil des Problems.

In der Vergangenheit wurde bei zentralen Themen, die man unter dem Begriff der Nachhaltigkeit subsummieren kann, nicht klug gehandelt. Klug meint hier: Folgen von Entscheidungen über lange Zeitskalen hinweg und unter Berücksichtigung der planetaren Grenzen bewerten. Das Denken in echten Lebenszyklen fehlte. Die ökologischen Parameter und Ökosystemleistungen wurden schlicht nicht mit einem Preis in die wirtschaftlichen Gleichungen von Kosten-Nutzen-Betrachtungen einbezogen.

Dies ändert sich nun und über allem steht der Dreiklang ESG in seinen diversen Ausformungen, von SFDR, CSRD bis EU-Taxonomie und weiteren Regelwerken. Hier entsteht in der EU ein Gerüst für das nachhaltige Wirtschaften zeitgleich zu seiner Anwendung. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass wir die letzten Jahre zu langsam waren und nun nicht die Entwicklung und Erprobung von Regeln deren Implementierung vorausschalten können. Wer spät aus dem Startblock kommt, muss schneller beschleunigen.

Im Fokus steht aktuell der Klimaschutz, d.h. die Reduktion von THG-Emissionen (CO2e). Klares Ziel ist immer noch die absolute Null bevor die Budgets für das +1,5 Grad-Ziel gemäß dem Pariser Klimaabkommen aufgebraucht sind. Bei den aktuellen Emissionspfaden laut Klimaschutzgesetz (KSG) sind wir davon weit entfernt. Wir müssen also besser werden bei den Einsparungen und zugleich sicherstellen, dass wir in Zukunft und damit meine ich so früh als möglich, idealerweise nicht nach 2035 wirtschaftliche Aktivitäten weitestgehend ohne neue CO2e-Emissionen durchführen.

Vereinfacht betrachtet bieten sich der Immobilienwirtschaft zwei Ansätze: Material und Energieverbrauch. Beides sind wichtige Faktoren beim Klimaschutz. Wobei das Material für zwei miteinander verbundene Treiber auch für die Kosten steht: Embodied Carbon und Zirkularität. Wir müssen auch über die THG-Reduktion sprechen, welche über das verbaute Material zeitlich an die Zukunft gekoppelt ist. Denn Zirkularität ist die Klimaneutralität der Zukunft.

Was ist ihr Budget? In CO2e und Euro!

Bei der Immobilienentwicklern und Bestandshaltern sind die messbaren Aspekte im Fokus. Was quantifizier- und nachweisbar ist, kann in Euro übersetzt werden. Für den Betrieb wird oft mittels CRREM-Pfad ein „Stranding Point“ für ein Asset ermittelt. Ein heikles Unterfangen, denn die CREEM zugrundeliegenden CO2e-Budgets werden dynamisch nachgeführt: schneller schrumpfendes CO2e-Budget führt zu früherem Stranding. Ob also ein Objekt in Folge einer zukünftig notwendigen CRREM-Anpassung früher „stranded“, das hängt maßgeblich vom nun stattfindenden Klimaschutz ab.

Schaut man in die nahe Zukunft, so wird schnell klar: Sicher ist nur, wer klimaneutral im Betrieb anpeilt. Und das muss zeitlich umso früher sein, je länger wir weiter zu viele Treibhausgase emittieren. Das ist der zentrale Unterschied zwischen dem Ansatz über ein CO2e-Budget (Physik) und einem Zeitpunkt für Klimaneutralität, z.B. 2045 in der BRD (Politik). Jede Investition in Klimaschutz heute reduziert schlicht die zukünftigen Risiken für die bestehenden Assets. Eine sehr simple Rechnung.

Was bleibt als weitere Stellschraube, damit die Klimapfade für die Immobilienbewertung nicht verschärft werden? Das Material. Im Neubau macht das sogenannte Carbon Frontloading die Emissionen aus der Produktion verbauter Materialien bei einem aktuellen KfW 40 EE Gebäude rund 65 Prozent aller Emissionen über den Lebenszyklus aus. Bevor das Gebäude eine Stunde im Betrieb war, ist unser CO2e-Budget schon geschrumpft. Man kann für jeden Entwurf den Betrieb und die Emissionen der sogenannten Embodied Carbon berechnen und diese beiden miteinander optimieren.

Solche Berechnungen sind mit den heutigen Mitteln der digitalen Ökobilanzierung kein Problem mehr. Leider wird dies aber noch nicht als Basis genutzt, um geplante Neubauten einer Sanierung gegenüberzustellen bzw. kg CO2e /m² *a als Einheit für den Vergleich von Gebäuden. Erste dorthin gehende Entwürfe für eine verpflichtende Ökobilanzierung wurden aber von der EU schon erarbeitet. Wie sonst soll die EU auch die eigenen Klimaziele einhalten?

Die im Pariser Klimaabkommen 2015 festgelegten Budgets für Länder und die daraus resultierenden Emissionmengen je Wirtschaftssektor wurden in der Vergangenheit regelmäßig überschritten. Bei uns insbesondere vom Sektor Verkehr und Gebäude. Andere Sektoren können dies zum Teil kompensieren, aber nicht vollständig, weshalb die BRD im letzten Jahr 800 Mio. € an Strafgebühr an die EU zahlen musste. Unter anderem um solche Zahlungen zukünftig zu vermeiden, soll Kapital nun zügiger in die Transformation zur Nachhaltigkeit gelenkt werden. Über Förderungen, mehr Transparenz und steigende Kosten für CO2e auch für unsere Branche.

Schattenemissionen voraus.

Klug wäre demnach, das verbleibende CO2e-Budget gegen die aktuellen und zukünftigen Emissionen für Betrieb und Errichtung zu bilanzieren. Also auch für jede Sanierung die Einsparungen im Betrieb gegen die grauen Emissionen der neu eingebrachten Materialien zu verrechnen, Stichwort „Carbon Payback“. Auch dazu gibt es gute Studien und hinreichend Daten für Modellierungen und Konzepte.

Damit wird auch schnell klar: Der Neubau muss möglichst emissionsfrei im Betrieb sein und so geringe Emissionen für die verbauten Materialien aufweisen, wie irgend möglich. Hierzu gibt es schon etliche gebaute Beispiele (z.B. der Alnatura Firmensitz in Darmstadt). Dies würde im besten Fall die Zeitspanne für die Sanierung der Bestände etwas verlängern, da somit ein größerer Teil unseres CO2e-Budgets für dessen Betrieb zur Verfügung steht, der sonst vom Neubau verbraucht wird.

Andernfalls kommen wir sonst in die absurde Situation, dass ein Neubau durch das eigene „Carbon Frontloading“ das CO2e-Budget so stark schmälert, dass er damit den eigenen Stranding-Zeitpunkt nach vorne verschiebt. Was wiederum zusätzliche Kosten verursacht. Denn voraussichtlich müssen schon zeitnah Emissions-Zertifikate gekauft werden und müssen Sanierungen früher stattfinden, als ursprünglich vorgesehen, um weiter unter dem verschärften CRREM-Pfad zu bleiben. Man merkt an diesen Überlegungen: Es braucht die ganzheitliche CO2e-Bilanzierung und korrespondierende Sektorenbudgets.

Damit wäre schon viel gewonnen. Das allein reicht aber noch nicht. Denn wenn wir bei Neubau und Sanierung nicht das zweite Leben von Materialien berücksichtigen, würde zugleich eine Problemverlagerung in die Zukunft stattfinden. Denn ist das Budget weg, ist Schluss mit Emissionen darin besteht seine Lenkungsfunktion. Bei einer Lebensdauer von 50 Jahren fällt bei vielen Gebäuden eine Instandhaltung, Sanierung oder der Rückbau aber dann genau in diese neue, emissionsfreie Zeit.

In der logischen Schlussfolgerung heißt das: zirkuläres Bauen. Das Bauen und Sanieren sollte mit möglichst solchen Materialien und Konstruktionsweisen erfolgen, die ein echtes Recycling ermöglichen, ohne dabei CO2e-Emissionen zu erzeugen. Im Idealfall, indem ganze Bauteile wiederverwendet werden oder Teile davon weiterverwendbar sind. Wenn dies nicht möglich ist, sollte eine stoffliche Weiter oder Wiederverwendung erfolgen. Final sollte immer die Rückführung in den natürlichen Stoffkreislauf erfolgen können, wie es auch bei Cradle- to-Cradle gedacht ist. Damit wird die Bedeutung von naturbasierten Rohstoffen und deren schadstofffreie Verarbeitung zu Bauprodukten sofort klar.

Dass bei alledem immer der möglichst geringe Einsatz von Material per se sinnhaft ist, muss wohl nicht weiter ausgeführt werden. Denn auch die natürlichen Rohstoffquellen sind nur begrenzt nutzbar und werden von vielen Branchen aktuell als Alternative gesehen, womit das Risiko einer Übernutzung besteht.

Es klingt fast schon banal: Die Rohstoffdepots der Zukunft werden heute durch zirkuläres Bauen errichtet. Sie sichern den Klimaschutz ab und reduzieren den ökologischen Schaden einer fortwährenden Ressourcenentnahme. Durch digitale Methoden kann man diese zukünftigen Depots schon heute sauber bewerten und dokumentieren. Es gilt nun: Machen.

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Eine Holzfassade, die ohne weitere Materialien auskommt
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Über den Autor.

Der studierte Biologe und Architekt Jürgen Utz befasst sich seit fast 15 Jahren mit Themen rund um Nachhaltigkeit und Klimawandel. Damit vereint er Wissen aus zwei Disziplinen und verfügt so über fachübergreifende Expertise. Diese ganzheitliche Perspektive zu nachhaltigen Themen bringt er als Leiter Nachhaltigkeit bei der LIST Gruppe ein, um bestehende Prozesse zu hinterfragen und das Immobiliengeschäft neu zu denken. Vor seiner Tätigkeit bei LIST baute er die DGNB Akademie als Leiter erfolgreich weiter aus, die Fort- und Weiterbildungen zu allen Themen der Nachhaltigkeit im Bau- und Immobilienbereich bietet. Er selbst sieht sich als Experte für den disziplinübergreifenden Ansatz, also Themen zusammenzubringen, den Überblick über Schnittstellen und Synergien zu haben und andere Experten miteinander zu vernetzen.