Quelle: Yummy Organics

Das Zahl, so viel du willst-Prinzip – kann das funktionieren?

Handel einmal anders. Im Online-Shop von Laura Brandt entscheidet der Kunde, was ihm die fair produzierten Gewürze wert sind. Auch Fiona und Christian betreiben ihr Café nach dem "pay what you want"-Prinzip. Beide Konzepte erreichen garantiert eins: direktes Feedback zum Produkt oder zur Dienstleistung aus erster Hand.

Der Reiz des Unbekannten.

Ein Online-Shop, in dem der Käufer selbst den Preis bestimmt. Diese Idee kam Laura Brandt eines Nachts, als sie über ein Unternehmenskonzept für ihr Start-up nachdachte. „Das kann doch überhaupt nicht funktionieren“, hat die junge Bremerin oft zu hören bekommen. Und klar, sie selbst habe sich anfangs auch immer wieder gefragt, ob das nicht völlig verrückt sei. „Wenn ich damals schon betriebswirtschaftliche Erfahrungen gehabt hätte, hätte ich diesen Schritt vielleicht nicht gewagt“, sagt die 35-Jährige. Aber genau das reizte sie auch. Etwas Neues auszuprobieren, einen anderen, ungewohnten Weg mit ihrem Start-up einzuschlagen. Zwei Jahre ist es her, dass Brandt im November 2017 mit ihrem Unternehmen „Yummy Organics“ online ging. Seitdem verkauft sie über das Internet Gewürze, alle biologisch angebaut, handverarbeitet und fair gehandelt. Jeder Käufer entscheidet bei ihr, wie viel er jeweils für das Produkt zahlen möchte. Wählt man in dem Online-Shop beispielsweise den Beutel mit der 100-Gramm Gewürzmischung aus, wird kein fester Preis, sondern eine Preisschiene angezeigt.

Der Referenzwert liegt bei acht Euro. Zieht man den kleinen Pfeil ganz nach links, landet man bei einem Euro. Allerdings erscheint dann auch der Hinweis: „Bei diesem Preis sind unsere Kosten noch nicht gedeckt und wir machen Verlust. Auf Dauer können wir davon nicht überleben. Vielleicht überlegst du es dir ja nochmal?“ Ganz nach rechts lässt sich der Regler bis auf 15 Euro ziehen. Dazwischen erfährt der Käufer, ab wann Kosten gedeckt und faire Löhne gesichert sind. Und bei welchem Preis zusätzlich noch 50 Prozent der Gewinne in soziale und ökologische Projekte vor Ort fließen.

Zahl, so viel du willst, dieses Konzept haben schon Theater, Konzerte, Museen und Tiergärten ausprobiert. Meist über einen festgelegten und begrenzten Zeitraum hinweg. So hat beispielsweise das Berliner Ensemble im September 2018 an sieben Abenden seinen Besuchern angeboten, selbst den Eintrittspreis zu bestimmen. Im Durchschnitt zahlten die Zuschauer dabei weniger für eine Theaterkarte als den regulären Preis, dafür seien aber mehr neue Besucher gekommen, so das Fazit des Berliner Ensembles.

Auch Wissenschaftler untersuchen seit Jahren, wie gut das Konzept in welchen Zusammenhängen funktioniert. Viele Menschen seien bereit, freiwillig etwas zu zahlen, wird Klaus Schmidt, Professor vom Seminar für Wirtschaftstheorie auf der Internetplattform Spotlight der Ludwig-Maximilians-Universität zitiert. „Wer stärker durch Fairness motiviert ist, gibt deutlich mehr als andere. Auch eine wiederholte Interaktion zwischen Käufer und Verkäufer kann freiwillige Zahlungen motivieren“, so der Wirtschaftswissenschaftler. Und Kunden hätten einen Anreiz zu zahlen, wenn sie wollen, dass der Anbieter auch morgen noch am Markt sei.

Dass aber Käufer in einem Online-Shop selbst die Preise bestimmen, ist immer noch eine Ausnahme. „Es war auch eine große Hürde, überhaupt einen Entwickler zu finden, der mir die Internetseite so baut“, erinnert sich Brandt. An den Eintrittskassen von den Theatern und Tiergärten stehen sich Kunden und Verkäufer gegenüber. Beim Internethandel dagegen läuft der Einkaufsprozess anonymer ab. Wer für die Gewürzmischung nur einen Euro zahlt, braucht Laura Brandt dabei nicht in die Augen zu schauen. Nutzen es Kunden dann nicht schamlos aus, um für Dumpingpreise hohe Qualitätswaren zu erhalten? Schließlich macht Brandt Verluste mit allen Produkten, bei denen der Käufer nur einen Preis zahlt, der unter dem Richtwert liegt.

„Die meisten Kunden sind bereit, einen angemessenen Preis zu zahlen“, sagt Brandt. „Am Ende habe ich im Durchschnitt 30 Prozent mehr als den kostendeckenden Preis in der Kasse.“ Das liege vor allem daran, dass sie bei Yummy Organics auf hohe Transparenz setze. Brandt kauft nicht im Großhandel ein, sondern bei Kleinbauern in Sri Lanka, Marokko und einem Bio-Bauern in Österreich. Die Produzenten erhalten faire Preise für ihre Ware. Interessierte Kunden können sich auf der Internetseite von Yummy Organics umfassend über die Produzenten, die Arbeitsbedingungen und die Lieferwege informieren. „Das muss über Inhalte, Bilder und Texte alles deutlich transportiert werden“, sagt Brandt. Offenbar mit Erfolg. „Wir haben 25 Prozent Bestandskunden, die auch wieder bestellen“, so die Unternehmerin. Und natürlich sei das Pay-what-you-want-Modell auch ein Marketinginstrument.

Nicht nur positive Erfahrungen.

Brandt verschweigt aber nicht, dass sie auch schon negative Erfahrungen gemacht hat. „Es gibt einzelne Kunden, die nutzen das bewusst aus.“ Das betreffe aber nur etwa ein Prozent aller Kunden. „Und wir behandeln sie genauso wie alle anderen Kunden“, sagt Brandt. Auch bei ihnen liegt eine Postkarte mit der Lieferung in dem Päckchen. Nur steht darauf der Hinweis: „Schade, dass wir dich nicht überzeugen konnten.“ Und dass das Unternehmen Yummy Organics so auf Dauer nicht bestehen könne. Insgesamt habe sich das Konzept aber in den zwei Jahren bewährt, so Brandt. Der nächste Schritt sei nun, ihren Online-Shop auszubauen und das Unternehmen zu vergrößern.

Konsequent verfolgen auch Fiona und Christian Brinker das Modell, dass ihre Kunden selbst entscheiden können, wie viel sie zahlen möchten. Die beiden betreiben in Bremerhaven das Café und Bistro „Findus, die gute Stube für Esskultur“. Als sie die Speisekarte entwarfen, suchten sie nach einem Preis, „der die Wertschätzung enthält, die Kosten deckt und trotzdem allen ermöglicht, bei uns zu essen und trinken“, sagt die 21-jährige Fiona Brinker. Wäre es nicht viel schöner, wenn die Gäste beim Zahlen ein Feedback geben könnten, was es ihnen wert war, fragten sich die beiden.

Seit drei Jahren ist das die Grundlage für ihr Café. Auch wenn sie das Konzept im Laufe der Zeit überarbeitet haben. Denn viele Gäste signalisierten ihnen anfangs, dass sie sich ganz ohne Preisvorgaben unsicher fühlten und einen Richtwert wünschten, erinnert sich Fiona Brinker. Sie hatten Angst, zu viel oder zu wenig zu zahlen. Deswegen haben die Betreiber Preisvorschläge für Getränke und feste Speisen in die Karte geschrieben. Es sind aber nur Richtwerte. Jeder Gast kann weiterhin entscheiden, was er zahlen möchte. Vor allem bei Extrawünschen, Brötchen und dem Tagesgericht werde das genutzt, sagt Fiona Brinker. Wer nur ein halbes Brötchen oder eine kleine Portion essen möchte, braucht bei der Bestellung nicht über den Preis zu diskutieren.

Auch in dem pakistanischen Restaurant Deewan in Wien können die Gäste selbst entscheiden, was sie zahlen möchten. „Die Gäste bestimmen den Preis für ihr Essen je nach Menge, Zufriedenheit und Liquidität“, steht auf der Internetseite des Restaurants. Und das Konzept funktioniert. Das Deewan gibt es bereits seit 2005. „Wir haben beschlossen, keinen Mindestpreis festzulegen, erlauben uns aber, wenn wir uns ausgenutzt vorkommen, die Leute darauf anzusprechen. Was allerdings vergleichsweise selten vorkommt“, heißt es weiter bei Deewan.

Dass jemand sich den Bauch vollgeschlagen hat und dann nur einen Euro zahlt, das habe es noch nie gegeben, sagt auch Fiona Brinker aus Bremerhaven. Es habe schon manchmal Leute gegeben, die das ausnutzen, aber das sei weniger als ein Prozent der Gäste. „Wir möchten, dass unsere Gäste mit dem Gefühl nach Hause gehen, es selbst in der Hand gehabt zu haben.“ Mittlerweile haben sie fünf Angestellte. Und bereits ein halbes Jahr nach der Eröffnung lief das Café so gut, dass die beiden Betreiber seitdem davon leben können.