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Wandel im Handel – wie sieht die Zukunft des Lebensmittelhandels aus?

Die Gretchen-Frage für den Lebensmitteleinzelhandel: Was wollen die Kunden? Während die Digitalisierung in anderen Branchen mit dem Vorschlaghammer die Verkaufslandschaft gestaltet, ist es im Lebensmittelbereich noch verhältnismäßig ruhig. Aber auch hier gilt: Schon heute müssen die Konzepte von Morgen entwickelt werden.

Die Edeka-Gruppe, die Rewe Group, die Schwarz-Gruppe und Aldi – das sind sie: die glorreichen Vier des LEHs. Mit zusammen 67 Prozent Marktanteil dominieren sie eine Branche, die in 2016 rund 177 Milliarden Euro umgesetzt und in den vergangenen zehn Jahren ein Umsatzwachstum von 23 Prozent verzeichnet hat. Es läuft. Aber kein Grund zum Verweilen: Themen wie die Digitalisierung oder die hybride Stadtentwicklung schlagen ihre Wellen voraus. 

Im Gegensatz zu den meisten anderen Handelssegmenten zeigt sich der LEH stabil. Eine Abwanderung der Kaufkraft aus der Offline- in die Online-Warenwelt ist kaum zu spüren. Trotzdem versuchen die etablierten Offline-Händler, eine Brücke in die digitale Welt zu schlagen. Außerdem sorgt ein großer Player für Verunsicherung: Amazon. Der E-Commerce-Gigant baut sein Food-Segment gleich in zwei verschiedenen Sparten massiv aus. Am 4. Mai 2017 wurde in Deutschland der Startschuss für „Amazon Fresh“, einem Lieferdienst für Lebensmittel, gesetzt. Seitdem haben die Kunden, die in den Verbreitungsgebieten Berlin, Hamburg und München leben, Zugriff auf 85.000 Produkte. Außerdem hat Amazon mit „Amazon Go“ in Seattle Anfang dieses Jahres den ersten Supermarkt ganz ohne Kassen eröffnet. Das lästige Aus- und Einpacken am Band kann sich der Kunde hier sparen.

Die Konkurrenz schläft nicht

Und auch weitere Anbieter versuchen, ihren Platz zu finden und zu definieren. So drängt zum Beispiel von unseren niederländischen Nachbarn das Unternehmen Picnic in den deutschen Markt. Der Bringservice liefert seit diesen Frühjahr in ausgewählten Städten nahe der niederländischen Grenze Lebensmittel bis an die Haustüren – ohne Versandkosten und innerhalb eines zwanzigminütigen Zeitfensters. Dahinter versteckt sich eine Milchmann-Strategie. Noch steht das Unternehmen eher im Schatten der „Großen“, aber das Konzept halten viele Experten für sehr vielversprechend.

Erfolgreiche Partnersuche

Neben den digital getriebenen Entwicklungen und den technologischen Errungenschaften verändert ein weiterer Trend den LEH: die Mischnutzung. Es entstehen Quartiere mit hybriden Konzepten. Kurze Wege stehen hier auf der Tagesordnung. Leben, Arbeiten und Einkaufen an einem Ort – das ist vielerorts bereits Alltag. Die Projektentwickler und Händler sind auf diesen Zug bereits aufgesprungen. Die Investoren ziehen mittlerweile selbstbewusst nach. Galt früher die Mononutzung einer Immobilie als gesetzt, ist heute ein deutlicher Trend in die entgegengesetzte Richtung zu erkennen. Die Mischnutzung einzelner Gebäude oder ganzer Stadtviertel ist salonfähig geworden, weil Synergieeffekte entstehen und die einzelnen Nutzungen voneinander profitieren.

Die Pflicht ruft nicht mehr

Im Inneren der Einkaufswelten erleben wir eine Anpassung der Markt-Konzepte. Noch ist dem Lebensmitteleinkauf das Stigma der Pflicht auferlegt. Das soll in den Augen verschiedenster Marktteilnehmer schon bald der Vergangenheit angehören. Der Kunde bekommt Raum zum Verweilen und Schlendern. Das Einkaufen soll für ihn zu einem Vergnügen werden. Zu den Vorreitern, die diesen Ansatz bereits leben, zählt die Kaufmannsfamilie Zurheide. In einer revitalisierten, ehemaligen Kaufhalle in Düsseldorf finden auf 10.000 qm nicht nur 60.000 Artikel, sondern auch neun Konzessionäre und Eigenformate Platz. Für die Kunden wird das Einkaufen hier tatsächlich zu einem Erlebnis.

Und selbst Aldi bewegt sich langsam aber sicher weg vom Billig- image. Der Discounter hat in Australien testweise vier Edel-Filialen eröffnet, die kaum noch etwas mit den Ladenflächen zu tun haben, die wir hierzulande kennen. Aber auch in Deutschland wagt sich vor allem Aldi Süd immer mehr in die Erlebniswelt hinein. Die in 2015 in Kirchseeon (Bayern) eröffnete Filiale dient dabei wohl als eine Art Versuchslabor: In ihr werden seit drei Jahren nicht nur – wie in anderen Aldi-Filialen – einzelne Elemente, sondern gleich das ganze Repertoire an Aldi-Neuerungen getestet. Von Kundentoiletten über einen Kaffeeautomaten bis hin zu jeder Menge Tageslicht – dem Kunden wird einiges an Aufenthaltsqualität geboten. Die Atmosphäre ist mit neuen Fliesen und Holzoptik heller und freundlicher als in den alten Märkten. Vor dem Eingang zeigt ein digitales Display die aktuellen Angebote, lokale Informationen und das Wetter. Und wer nicht weiß, was er kochen soll, kann sich an einem Automaten per Knopfdruck die Zutatenliste für Rezepte ausdrucken lassen, für die er ausschließlich die Produkte des Discounters braucht.

Der Kunde ist König

Der Konkurrenzkampf ist in vollem Gange, gemeinsame Wege werden gesucht und bestehende Konzepte überarbeitet. Zeit zum Verschnaufen bleibt da kaum. Und das alles, weil der Wandel den Handel treibt. Oder? Eigentlich ist der Ursprung allen „Übels“ der Kunde selbst. Klingt blöd. Aber ist es das auch? Werden die Marktteilnehmer so nicht irgendwie auch ein Stück weit zu ihrem Glück gezwungen?

Meinung: Anders und vielleicht auch deshalb gut

„Ich war vor gut einem Jahr das erste Mal im Düsseldorfer Zurheide-Markt im The Crown und gebe gerne zu: Seitdem bin ich Fan! Nicht nur, dass ein ehemaliger Kaufhof von nur einem einzelnen Handelsmieter auf einer so großen Flächen gezogen wird, sondern auch, dass Handel und Gastronomie im Untergeschoss so gut funktionieren. Großartig. Erst einmal habe ich den Markt in Ruhe auf mich wirken lassen. Dann habe ich mir ein Plätzchen in der Beef-Bar gesucht. Das gastronomische Angebot ist spitze – von Fleisch und Fisch über Bier und Wein bis hin zu Käse und frischer Pasta ist alles dabei. Ich kenne die Zahlen zwar nicht und kann auch nicht hellsehen und garantieren, dass hier das Konzept der Zukunft umgesetzt ist. Aber hier wird ein ganz neuer Weg gegangen und Offenheit für Veränderung gelebt. Davon sollten wir uns alle eine Scheibe abschneiden.“

– Michael Garstka, Geschäftsführer von LIST Develop Commercial und Jury-Mitglied des Preises „Fachmarkt Stars 2018"

Müssen wir uns auf eine neue, andere Einzelhandelswelt einstellen? Und haben die Konzepte der vergangenen Jahre keine Zukunft mehr? Oder bleibt irgendetwas doch beim Alten? Bei Zukunftsprognosen hat ja jeder eine eigene Meinung – wir sind gespannt auf Ihre.