Quelle: Holger Martens

Von der Industriebrache zum Hingucker – ein Ex-Brownfield in Rostock.

Auf dem Grundstück ragen letzte Fundamentreste aus dem Boden, im Hintergrund thront die historisch anmutende Fassade des Neptun Einkauf Centers und ein großer Kran. Doch schon bald wird aus einem früheren Werft-Gelände in Rostock ein Dreierkanon aus Hotels und Bürogebäude.

Flächenknappheit ist eines der beherrschenden Themen der Immobilienbranche. Eine attraktive Alternative: Brownfields. Ehemals industriell genutzte Grundstücke, die den Projektentwicklern in der Regel sowohl Vor- als auch Nachteile bescheren. 

Im Gegensatz zur grünen Wiese oder einem Grundstück, das beispielsweise bislang nur als Parkplatz genutzt wurde, ist das Areal der früheren Neptun Werft in Rostock vollständig erschlossen. Die schwierigen Bodenverhältnisse, die unter anderem auch aus der Vornutzung resultieren, stellen hingegen besondere Anforderungen an die Gründung. Der Aufwand für das Errichten einer Tiefgarage wird damit unverhältnismäßig hoch, sodass ein anderes Konzept erarbeitet werden musste.

Aber egal, ob die Vor- oder Nachteile überwiegen – für Orte mit einer Industrievergangenheit findet man so gut wie immer eine attraktive Nachnutzungsmöglichkeit. Manchmal liegt diese nicht sofort auf der Hand. Aber allein die meist sehr gute Lage dieser Grundstücke, weil die Städte im Laufe der Jahre rund um sie herum weiter gewachsen sind, begründet die Suche nach der einen möglichen Lösung. Und hier kommt die ehemalige Neptun Werft ins Spiel:

Das Herz der Stadt.

Über ein Jahrhundert lang war die Neptun Werft das industrielle Herz der Stadt Rostock – sowohl in technischer als auch in gesellschaftlicher Hinsicht. Die Rostocker identifizierten sich mit „ihrer“ Werft. Bis in die neunziger Jahre. Auf die Wende folgten für den ehemaligen volkseigenen Betrieb der DDR die Zergliederung in Fachsparten und die Schließung des Standortes.

Heute produziert die Neptun Werft nach schwierigen Jahren der Umstrukturierung als Unternehmen der Meyer Neptun Gruppe erfolgreich Flusskreuzfahrtschiffe, Schiffskomponenten und fertige Schiffsrümpfe für seegehende Kreuzfahrtschiffe am neuen Standort in Warnemünde. Ihre Hinterlassenschaft: ein Areal im Zentrum der Stadt Rostock mit hoher traditioneller Bedeutung.

Diese Bedeutung zeigt uns Hans Peter Strack. Er war fast 37 Jahre für die Werft tätig, davon 25 Jahre am ehemaligen Rostocker Standort. „Wir stehen gerade sozusagen mitten in der Entzunderung, in der die Bleche damals gereinigt wurden“, erklärt er voller Begeisterung. „Hier auf dem Grundstück, das Sie erworben haben, fanden die Vorbereitungen für den Bau des Schiffes statt. Und die Straße, über die wir zum Grundstück gelangt sind, war nicht immer eine Straße. Hier wurden die bis zu sieben Meter langen Bleche in schienengebundenen Plattenwagen transportiert.“

Als wäre es gestern gewesen.

Er nimmt uns weiter mit auf eine Reise in die Vergangenheit. „Hier im östlichen Teil des ehemaligen Werftgeländes haben wir im übertragenen Sinn den Rohbau des Schiffes erstellt. Sie können sich nicht vorstellen, was hier los war. Fliegende Funken, schrilles Quietschen, ein ohrenbetäubendes Krachen in der Nachbarhalle und immer wieder schreit jemand lauthals Kommandos quer über das gesamte Gelände – das waren schon andere Zeiten“, erinnert er sich mit einem Lächeln. „Zwei der Arbeitsschritte fanden auf diesem Grundstück statt. Hier wurden die Platten nicht nur entzundert und damit gereinigt, sondern in einem zweiten Gebäude direkt auch schon zugeschnitten. Hier wurde richtig geschuftet. Alles musste haargenau passen.“

Maloche

Nächster Schritt? Ab nach draußen. Zunächst wurden auf dem Schnürboden die Spanten vorbereitet. Ein Arbeitsschritt, der bis in die sechziger Jahre ganz klassisch manuell durchgeführt wurde. Die Konturen wurden im Maßstab 1:1 aufgerissen und nachgebaut.

Aber was dann folgte, war das eigentliche Highlight. Der tatsächliche Bau des Schiffes startete. Der Hafenkran ließ langsam die ersten Bauteile über den Köpfen der unzähligen Mitarbeiter herunterschweben. Alle guckten. Nahmen Position ein. Und dann ging es Schlag auf Schlag. Jeder stürzte sich in seine Arbeit. Hämmer trommelten im Takt, Geräte brummten in unterschiedlichen Tonlagen und Arbeiter wischten sich den Schweiß von der Stirn.

„Was wir dabei alles erlebt haben, lässt sich nicht in Worte fassen. Es gab zwei Unfälle, an die ich mich besonders erinnere. Schon wenn wir jetzt darüber reden, bekomme ich Gänsehaut. Aber natürlich erinnere ich mich auch an die vielen tollen Momente, in denen wir die neuen Schiffskörper jeweils das erste Mal ins Wasser ließen. Auf der Helling wurde gejubelt."

"Im Schiff selbst breitete sich Hektik aus. Gab es ein oder womöglich sogar mehrere Lecks? Die Notbesetzung stürmte von Raum zu Raum. Dicht. Dicht. Auch dicht. Und zu unser aller Freude gab es jedes Mal am Ende das gleiche Bild: Die Besatzung kam an Deck und streckte den Daumen hoch. Das Team hatte wie immer gute Arbeit geleistet. Ich habe tatsächlich nicht einmal erlebt, dass ein Leck gefunden wurde.“ Für das Schiff ging es dann weiter flussabwärts in die Ausrüstung. Und auf dem östlichen Teil des Werftgeländes konnte das nächste Schiff in Produktion gehen."

Alles hat seine Zeit.

Die Worte des ehemaligen Schiffsbauers lassen keinen Zweifel daran, dass die Neptun Werft in den Köpfen der Beteiligten auch mehr als zwanzig Jahre nach der Aufgabe des Standortes alles andere als Geschichte ist. Stellt sich die Frage, warum Hans-Peter Strack uns, die einen Teil „seines“ alten  Werftgeländes einer neuen Nutzung zuführen werden, bereitwillig Rede und Antwort steht?

Weil er genau weiß, dass jedes Kapitel irgendwann einmal abgeschlossen werden muss. Mehr noch: „Für die Größenordnungen der heutigen Schiffsneubauten waren unsere Helgen gar nicht ausgelegt. An dem Standort hier im Zentrum Rostocks wäre die Neptun Werft nicht wettbewerbsfähig geblieben. Ich freue mich, wenn Unternehmen wie LIST die Attraktivität dieses Standorts sehen. Wichtig ist mir persönlich nur, dass wir unsere Herkunft nicht in Vergessenheit geraten lassen. Und das gesehen wird, dass wir uns am neuen Standort ‚Warnemünde‘ als Neptun Werft wiedergefunden haben. Dazu auch recht herzlichen Dank an die Meyer Werft und an alle Beteiligten, die diese schweren Zeiten mitgemeistert haben.“

1 | Plattenlager
Mit dem Einlagern der Platten war der erste Schritt zum Bau eines neuen Schiffes gemacht.

2 | Entzunderung und Zuschnitt
Durch Sandstrahlen wurden die Bleche hier zunächst entzundert und endrostet, sprich: gereinigt. Im Zuschnitt wurden die Bleche auf Maß gebracht, da auf einem Schiff kaum ein Blech dem nächsten gleicht.

3 | Bauteilverformung
Mittels Presse, Kantenbank und Co. wurden die Bauteile hier in Form gebracht.

4 | Flachsektionsfertigung
(Vormontage)Wie im Schiffsbau üblich, hat sich die Neptun Werft der Sektionsbauweise bedient, in der erst einzelne Module vorgefertigt und dann zum Schiff zusammengebaut werden. Auf den heutigen Parkflächen des Neptun Einkauf Centers fand ehemals die Decksfertigung und die Fertigung von Schotten und damit ein Teil der Vormontage statt.

5 | Teilsektionsfertigung
(Vormontage)
In diesem Gebäude, das heute das Neptun Einkauf Center beherbergt, wurden Doppelböden, Außenhäute und Volumensektionen vormontiert.

6 | Helling 1–4
Die Neptun Werft verfügte über insgesamt vier Helgen. Die schräg abfallenden Flächen sind heute nur noch in Teilen erhalten. Hier wurden die in der Vormontage (4, 5 und 8) vorgefertigten Teilsektionen zu einem Schiffskörper montiert.

7 | Schnürboden und Optisches Büro
Bis in die sechziger Jahre wurden die Konturen des Schiffes auf dem Schnürboden (auch als Reißboden oder Zulage bekannt) im Maßstab 1:1 aufgerissen (aufgezeichnet) und dann mithilfe von Holzmodellen auf die zu verformenden Spanten übertragen. Später nutzte die Werft den technischen Fortschritt für sich: Die Konturen für den Zuschnitt und die Verformung wurden von nun an im „Optischen Büro“ erzeugt.

8 | Wandfertigung (Vormontage)
Hier fand die Vormontage von Wänden, Schotten und Untergruppen statt.

Kein neues Buch, sondern ein neues Kapitel.

Das Ensemble von LIST Develop Commercial wird in einer modernen Nachbarschaft mit wiederbelebten Zeitzeugen entstehen.

So findet man auf der einen Seite noch die Schiffbauhalle, einen der Hafenkräne, eine Presse und auch einen Teil des Hafenkais auf dem Areal vor – revitalisiert, restauriert und wiederaufgebaut versteht sich. Auf der anderen Seite sind entlang der Unterwarnow bereits viele Neubauprojekte verwirklicht worden. Direkt nebenan hat sich das Max-Planck-Institut angesiedelt. Die Straße runter bieten Wohnimmobilien einen tollen Ausblick auf den Fluss. Mit jedem weiteren Schritt über das Gelände wird klarer, dass es den Beteiligten gelungen ist, das ehemalige Werftgelände neu zu erfinden. Und noch ist dieser Prozess in vollem Gang. Kapitel für Kapitel.

Mit einer Gewerbeimmobilie, die Büroflächen und zwei Hotels beherbergt, wird LIST Develop Commercial diese Quartiersentwicklung weiter vorantreiben. Vor allem die zukünftigen Hotelgäste werden für eine weitere Durchmischung sorgen. Außerdem wird eine Baulücke am Eingang des ehemaligen Werftgeländes geschlossen. Die Gebäudehöhen und die Klinkeroptik aus Teilen der Nachbarschaft werden im neuen Gebäudekomplex aufgegriffen, sodass das gesamte Quartier seinen Charakter nicht verliert. Auch wenn ein Kapitel des Grundstücks geschrieben und abgeschlossen ist, lohnt es sich, weiter in dem Buch zu blättern. Aktuell ist ein neues Kapitel in Arbeit. Und wer weiß, was wir im nächsten Jahrhundert zu lesen bekommen. 

Quelle: Holger Martens

Zum Projekt

In Zusammenarbeit mit prasch buken partner architekten partG mbB aus Hamburg entwickelt LIST Develop Commercial ein Gebäudeensemble aus zwei Hotels und einem Bürokomplex. Der Dreierkanon bildet das Entree am Eingang des ehemaligen Werftgeländes.

Es ist geplant, die Fassade in Teilen in Klinkeroptik zu gestalten, sodass eine Verbindung zur Backsteinarchitektur der umgenutzten, aber erhaltenen Neptun-Werfthallen entsteht. Die Konzeption aus drei einzelnen Gebäuden, die durch eine Stellplatzanlage miteinander verbunden sind, bietet vor allem einen Vorteil: Das Ensemble erhält den Charakter einer offenen Bebauung.

Die beiden Hotelgebäude werden zukünftig ein B&B HOTEL und Arthotel ANA beherbergen. Insgesamt verfügen die beiden Objekte über gut 250 Gästezimmer. Das dreieckige Gebäude am
östlichsten Rand des Grundstücks ist an den Straßenverlauf angepasst und bietet auf rund 3.500 Quadratmetern Platz für Büroflächen.