Ein Bahnsteigmodell, der aus einer Punktwolke besteht
Quelle: LIST Gruppe

Heute an morgen denken – Digitalisierung des Bestands schafft Informationsbasis für die Nachwelt.

Bisher ist nur ein geringer Teil der Bestandsbauten in Deutschland digitalisiert. Aber warum eigentlich? Welche Hürden es noch zu nehmen gilt, welche Vorteile sich durch die Digitalisierung des Bestands ergeben und wie die Zukunft aussehen könnte, haben wir mit Projektleiter Deniz Özdemir von intecplan besprochen.

Die Problematik: Hinter jedem Bauteil kann sich eine Herausforderung verstecken.

Wer mit Bestandsbauten arbeitet, muss sich darauf einstellen, dass nicht alles nach einem zuvor gesteckten Plan läuft. Oft existieren keine oder nur unvollständige Aufzeichnungen darüber, wie das Bauwerk einst gebaut wurde und welche Sanierungs- und Ausbauarbeiten in der Zwischenzeit durchgeführt wurden. 

Um sich ein Bild vom Objekt zu machen, nutzt Deniz mit seinem Team unter anderem Laserscanner, aus deren Daten später Gebäudemodelle erzeugt werden können. Durch das Scan-Verfahren kann allerdings nur die Oberfläche aufgenommen werden, die Materialien dahinter bleiben meist unbekannt. Erst durch Bohrungen und gezieltere Nacherkundungen werden diese erkenntlich.

“Dabei ist es wichtig, sich eng mit den Auftraggeber:innen auszutauschen. Die Sicherheit, was wo verbaut ist, gibt es beim Bestand nicht. Da kann das Vorhaben auch unerwartet aufwändiger oder teurer werden. Egal, wieviel wir vorausplanen. Deswegen müssen wir frühzeitig Vertrauen schaffen und den Auftraggeber an die Hand nehmen, das gehört zum Job dazu“, erzählt Deniz. 

Der Vorteil: Ein Informationsspeicher, der nicht verlorengeht.

Digitale Zwillinge entpuppen sich im Bestand als wichtige Informationsspeicher für die Nachwelt: „Verbaute Materialien, der Verlauf von Leitungen und das Tragwerk werden durch die konstruktive Zusammenarbeit von Ingenieuren und Konstrukteuren bei intecplan sichtbar gemacht und dadurch festgehalten. Durch Verknüpfungen von Informationen und Modell können diese dann sogar gewerksübergreifend von allen Fachdisziplinen genutzt werden. So werden Kollisionen schon vorab erkannt und die Arbeit in und am Bestand wird noch effektiver“, fügt Deniz an. Ein gutes Beispiel dafür sei auch das Projekt zur Brandschutzertüchtigung am Berliner Ostbahnhof

Darüber hinaus ist ein vollständiges Gebäudemodell wichtig für Themen, die die Nachhaltigkeit betreffen. Ökobilanzierungen und andere Nachhaltigkeitsbewertungen von Bestandsbauten werden durch die detaillierte Datenerfassung überhaupt erst möglich. 

Aber: Nicht immer muss bei der Erfassung auch das gesamte Bauwerk bis ins kleinste Detail digitalisiert werden. Oft sei es auch möglich, auf den speziellen Anwendungsfall zugeschnittene Teilstücke zu digitalisieren, erklärt Deniz.

Fazit: Es gibt noch viel zu tun.

Für die Zukunft wünscht der Projektleiter sich, dass die Bestandsdigitalisierung weiter an Relevanz gewinnt. Daneben sieht er auf jeden Fall noch Optimierungspotential in Hard- und Software, auf Seite der Kund:innen. „Dadurch können auf beiden Seiten die BIM-Potenziale voll ausgeschöpft und die geschaffene Informationsbasis auch genutzt werden“, erklärt Deniz. Ebenso wünscht er sich die Schaffung eines klaren rechtlichen Rahmens. Die BIM-Vermessung und der Aufbau von BIM-Bestandsmodellen hat derzeit keine feste Verankerung in der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI). „Das muss sich ändern. Auch vergaberechtlich sollten BIM-Leistungen klarer geregelt werden, um diese auch in zukünftigen Projekten standardmäßig mit aufnehmen zu können.“ Denn in der Digitalisierung des Bestands steckt ein echter Gewinn für die Zukunft. „Und wir stehen erst am Anfang“, fasst Deniz zusammen.