Quelle: LIST Gruppe

Go real. Go green. Und genießen Sie die raue Fahrt.

Es führt kein Weg an der Tatsache vorbei, dass die Bau- und Immobilienbranche in Deutschland und weltweit einer der größten CO2-Emittenten ist. Wir müssen etwas tun. Mit der sich verändernden Regulatorik im Kontext des EU-Green-Deals kommen konkrete Aufgaben auf uns zu. Wir müssen aber erkennen, dass wir mit Einzelmaßnahmen allein nicht weit kommen. Neue Denkmuster sind gefragt.

Ein klein wenig Schwarzmalerei muss jetzt sein. Aber mit einem Beispiel, das sie so vielleicht noch nicht gehört haben und das „große Ganze“ verständlich macht. Aus dem Gift von Meeresschnecken (Gattung Conus) lässt sich ein Schmerzmittel herstellen, das bis zu 1.000-mal stärker als Morphium ist, ohne abhängig zu machen. Der Klimawandel macht diesen Weichtieren aber schwer zu schaffen. Forscher:innen haben herausgefunden, dass deren Jagderfolg bedingt durch die Versauerung der Ozeane abnimmt. Eine der sich aktuell vollziehenden, gefährlichen Veränderungen unserer Meere als direkte Folge der gestiegenen CO2-Emissionen. Und nur ein Beispiel für die klare Verbindung von Artensterben und Klimawandel.

Wollen wir unseren blauen Planeten bewohnbar halten, um unter anderem aus der Forschung an solchen faszinierenden Tieren hilfreiche Erkenntnisse zu erlangen, müssen wir die Erderwärmung in den Griff bekommen. Dazu führt kein Weg daran vorbei, unseren Energieverbrauch und die damit verbundenen Emissionen drastisch zu reduzieren. Unsere Branche ist da ein Hauptverursacher und damit extrem gefragt. Wir halten ein enormes Potenzial für eine bessere Zukunft in den Händen. Ich sehe das so: Wir müssen das Entwickeln, Planen, Bauen und Betreiben von Immobilien jetzt anders angehen. Probieren und Experimentieren sind dabei explizit erwünscht. Die bisherige Kür ist zur Pflicht geworden, denn aus unserem Wissen folgt Verantwortung.

Energie ist...

Versucht man, das Thema Energie zu strukturieren, um Zusammenhänge und Ansatzpunkte zu verstehen, hilft die Unterscheidung von grauer Energie und Betriebsenergie. Während die Betriebsenergie längst eine etablierte Referenzgröße bei Gesetzgebung und Fördermittelvergabe darstellt, wird die graue Energie bislang selten betrachtet. Vereinfacht gesagt bildet sie für Materialien und Prozesse beim Bau die notwendige Energie und dadurch verursachte CO2-Emissionen ab – von der Rohstoffgewinnung bis zum Rückbau für den gesamten Lebenszyklus. So lassen sich verschiedene Konstruktionen und Bauteile hinsichtlich deren Klimabilanz vergleichen. Die Debatte um Beton vs. Holz steht exemplarisch dafür, welches Diskussionspotenzial hier lauert.

Wobei es erst richtig spannend wird, wenn man die Kreislauffähigkeit mit einbezieht, also die graue Energie möglichst lange zu nutzen versucht. Denn letzten Endes stellt das einfach nur eine andere Form des Energiesparens dar. Gleichzeitig gilt dann wiederum aber auch: Je länger eine Immobilie betrieben wird, durch Umbau und Sanierung auch verschiedene Nutzungen über die Lebensdauer beherbergen kann, desto stärker fällt die Betriebsenergie wieder ins Gewicht. Daher ist die ganzheitliche Betrachtung so zentral, um nicht einseitig nur die Konstruktion oder den Betrieb zu optimieren. Denn es geht um eine ehrliche Abwägung von Alternativen im Entwurfsstadium – wo auch mal ein „Mehr“ an grauer Energie, zum Beispiel für Speichermassen, sich im Lebenszyklus dann über die Klimabilanz des Betriebs rechnet.

Man muss kein Prophet sein, um zu erkennen, dass mit fortschreitender Energiewende die verbauten Materialien automatisch größere Bedeutung für den Klimaschutz bekommen. Zukünftig werden wir daher vermehrt auf CO2-Verbräuche pro Quadratmeter schauen, und zwar inklusive Konstruktion. Das hat nicht zuletzt der abrupte Stopp der Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) angekündigt. Heißt konkret: Für GEG und Förderprogramme erwarte ich zeitnah CO2-Werte als Bezugsgröße. Dies wird kommen, davon bin ich überzeugt. Außerdem werden langfristig nur noch die Projekte wirtschaftlich attraktiv sein, die zirkulär geplant und gebaut werden. Aktuell ist der stetige Bedarf an neuen Ressourcen viel zu hoch (siehe Circularity Gap Report). Die EU-Taxonomie adressiert dieses Thema bereits, weitere Regularien zur Kreislauffähigkeit und zum Einsatz von Sekundärrohstoffen werden kommen. Und es ist zu erwarten, dass sich diese zukünftig auf die Bewertung aktuell entstehender Objekte durchschlagen.

Verbrauch ist eben keine einfache Rechnung.

Gehen wir nun einmal davon aus, dass es gelingt, CO2 als Währung einzuführen – ganz ohne Schlupflöcher. Dann braucht es nicht nur ein Verständnis für graue Energie,
sondern auch neue Denkmuster „outside the box“. Dafür hilft es, wenn man „Energie“ in vier Kategorien denkend aufschlüsselt: Energiequelle, Energieträger, Energieverbrauch und Energiespeicherung. Das mag physikalisch nun nicht korrekt sein, aber für diesen Zweck hinreichend präzise. Bislang betrachten wir oft nur: Wie viel geht aus welcher Quelle rein? Fertig ist die Rechnung. Sofern man die richtigen Daten hat, kann man hier schon Emissionen und auch Kosten berechnen. Das ist aber zu kurz gedacht.

Die oberste Prämisse sollte immer sein, möglichst wenig Energie zu benötigen – das ist eine Binsenweisheit. Am Start steht deshalb die Frage: Was bestimmt die Verbräuche? Da stehen die physischen Eigenschaften von Ort und Objekt im Mittelpunkt. Angefangen beim baulichen Standard über die Ausrichtung und Kompaktheit des Baukörpers bis zum Anteil und zur Ausgestaltung der Fassade. Ebenso relevant sind das Klima des Standorts, eine Verschattung durch Bäume und Gebäude, die vorhandenen Energienetze und Infrastruktur, die Auslegung der TGA mit geregelter Inbetriebnahme sowie technischem Monitoring.

Außerdem gilt es, den Flächenbedarf für die geplante Nutzung durch flexible Konzepte suffizient zu gestalten. Und es kommen weitere, neue Aspekte hinzu. So wird über die Lebensdauer eines Objekts die Hitzebelastung und damit der Bedarf an Kühlung deutlich steigen, das zeigen uns die Klimamodelle – was besonders für den Nutzer von Bedeutung sein wird und diesen als eigenständigen Faktor nochmals herausstellt. Vom unterschiedlichen Komfortempfinden über die individuellen Steuer- und Eingriffsmöglichkeiten, die Transparenz beim Verbrauch für Nudging oder Gamification bis hin zum Angebot verschiedener Arbeitsformen sowie der IT-Ausstattung spannt sich so der Bogen an Ansatzpunkten.

Es wird nicht den einen großen Wurf geben.

Wie man sieht: Es gibt eine Vielzahl von miteinander verknüpften Aspekten, über die man, jeweils in unterschiedlichem Maße, Einfluss auf den Energiebedarf nehmen kann. Und bislang habe ich nur eine Kategorie grob skizziert. Auch in den drei anderen Kategorien Energieträger, Energiequelle und Energiespeicherung gibt es spannende Ansatzpunkte. Zum Beispiel mit den positiven Effekten von grünen Wänden auf die Energiebilanz von Gebäuden, den Gestaltungsmöglichkeiten durch gebäudeintegrierte Photovoltaik, Möglichkeiten des Einsatzes von Eisspeichern, den Entwicklungen und Fördermöglichkeiten bei kalten Wärmenetzen, der Nutzung von Abwärme aus Abwässern oder Modellen für Mieterstrom. Und mit Sicherheit gibt es inzwischen wieder neue Ansätze und Entwicklungen, die ich noch gar nicht entdeckt habe oder an denen schlaue Köpfe gerade tüfteln. Nur auf die „Sprunginnovation“ zu warten, dafür ist keine Zeit mehr.

Augen auf, die Sanierungspflicht ist längst da.

Mit Blick auf die Klimaziele für den Gebäudesektor ist zudem eine weitere Sache ganz klar herauszustellen: Der schlafende Riese bei der Klimafrage ist der Bestand. Ein eigenes, umfangreiches Thema und daher hier nur ein paar Schlaglichter.

Politisch und aus Sicht des Klimaschutzes ist es richtig, sich um die Betriebsenergie zu kümmern. Hier bieten sich am Objekt zwei Möglichkeiten: die Sanierung der Gebäudehülle, um den Bedarf zu senken, sowie der Umstieg auf erneuerbare Energiequellen, was eventuell Anpassungen der TGA mit sich bringt. Dabei laufen die Kosten für die Sanierung langfristig gegen Kosten für CO2-Emissionen.

Aktuell steht in diesem Zusammenhang aber noch eine andere Herausforderung auf der Agenda: Bislang trägt der Mieter – egal, ob saniert wurde oder nicht – die emissionsbedingten Kosten seiner benutzten Fläche. Dabei will es die Koalition nicht belassen und neu klären, wer für die Kosten aus CO2-Emissionszertifikaten aufkommt und ob Sanierungskosten auf die Miete anrechenbar sind. Ein aktuelles Eckpunktepapier sieht ein Stufenmodell für die Kostenverteilung vor, das sich an CO2-Emissionen pro Quadratmeter und Jahr orientiert. Derzeit nur für Wohnobjekte, der Rest wird aber zeitnah folgen. Im Stufenplan ist formuliert, dass bei sehr emissionsarmen Objekten der Mieter den Hauptanteil der Kosten trägt und bei sehr emissionsreichen Objekten wiederum der Vermieter zur Kasse gebeten wird, da dieser das Objekt verantwortet. Damit wird die Sanierung indirekt zur Pflicht, beginnend mit den „Energiemonstern“. Danach werden sukzessive die anderen Assets folgen und die festgelegte Verteuerung und Verknappung der Emissionszertifikate durchgehend Wirkung entfalten. Auch für den Neubau ist damit die Aufgabe klar. Er darf auf die Emissionen im Gebäudesektor nichts draufpacken und sollte vom Start weg klimaneutral sein, sonst bringt die Sanierung uns dem Ziel der Klimaneutralität nicht näher.

Manche Immobilien will in zehn Jahren keiner mehr.

All diese Betrachtungen zum Thema Energie, inklusive grauer Energie und Zirkularität, werden wir zeitnah in der Bewertung von Immobilien durch die zugrundeliegende Regulatorik verstärkt wiederfinden. Die Fragen, die dort gestellt werden, sind naheliegend: Wo wird die Energie erzeugt? Welche Energieträger sind in der Nutzung? Wie ist die Gesamtbilanz der Emissionen des Gebäudes über den Lebenszyklus? Und dabei werden die in dieser letzten Frage betrachteten CO2-Emissionen in Kilogramm pro Quadratmeter und Jahr (kg CO2-Äqv./qm/a) gegen ein virtuelles Restbudget an Emissionen laufen.

Wer also zukünftig auf die Fragen rund um Energie keine vergleichbaren, transparenten und von Unabhängigen überprüfbare Informationen liefert, wird sich bald in einem schrumpfenden Markt wiederfinden. Denn wer will eine Immobilie, die schon in zehn Jahren eine grundlegende Modernisierung oder Sanierung braucht, weil die Kosten für notwendige CO2-Zertifikate die Rendite auffressen? Um dann bei der Modernisierung oder Sanierung festzustellen, dass hierbei Kosten für die Entsorgung entstehen statt Erlöse aus dem Verkauf kreislauffähig verbauter Rohstoffe.

Die Finanzierung und die Bewertung von Immobilien werden diese Faktoren im Verbund mit weiteren zur Nachhaltigkeit zukünftig mit abbilden. Mit der Offenlegungsverordnung und der EU-Taxonomie, so verworren deren Verschränkung miteinander teilweise noch erscheinen mag, wird es hier zu mehr Transparenz kommen. Die Basis hierfür sind die richtigen Daten.

Womit wir bei einem wichtigen Aspekt angelangt sind, ohne den die Bewältigung der planerischen Herausforderungen nur schwer möglich wäre: Digitalisierung. Zum Beispiel bei der Simulation zukünftiger Klimasituationen, der Dokumentation verbauter Materialien wie auch der Planung von effizientem Betrieb helfen uns digitale Werkzeuge schon heute. Das Potenzial ist aber längst nicht ausgeschöpft und ich bin gespannt, was wir gemeinsam mit den Kolleg:innen der LIST Gruppe noch entwickeln.

Der frühe Vogel und so.

Blendet man abschließend einmal alle Details aus und tritt einen Schritt zurück, so wird die Marschroute klar: Viele Fragen an den Entwurf stellen. Sie früh stellen. Und ebenso früh den Dialog mit den diversen Planungsbeteiligten suchen, um in integral arbeitenden Teams passende Lösungen zu finden, bevor es Geld kostet. Das gilt nicht nur für Energie, sondern für nahezu alle Themen der Nachhaltigkeit.

Zuweilen beschleicht mich der Gedanke, dass dies doch alles schon lange bekannt ist und ich Eulen nach Athen trage. Wenn dem so sein sollte, dann freue ich mich über den Austausch dazu, wieso wir viel über eine Handvoll an Leuchtturmprojekten reden und sonst zu wenig passiert. Aber ich erwarte mir eine positive Dynamik. Die Weichenstellungen sind für alle erkennbar: ein steigender CO2-Preis, gezielte Verknappung der Zertifikate, erweiterte Reportingpflicht für Unternehmen ab einer bestimmten Größe und klare Nachweispflichten für alle nachhaltigen Finanzprodukte, also auch Immobilien. Um nur ein paar Punkte zu nennen.

Chancen ergreifen, denn noch ist Spielraum da.

Aufgrund meiner langjährigen Beschäftigung mit der Klimaforschung ist mir sehr bewusst, was auf dem Spiel steht. Ich habe keinen Zweifel daran, dass die zunehmend spürbaren Folgen des fortschreitenden Klimawandels uns stetig eindringliche Ermahnung sein werden, den Wandel mutig anzugehen. Je länger wir zögern, desto weniger Entscheidungsspielraum haben wir. Es gilt nun, das zum 21. Jahrhundert passende Bauen umzusetzen. Die aktuellen Entwicklungen zeigen klar die Richtung: mehr Klimaschutz, mehr Nachhaltigkeit! Wer dies nicht konsequent angeht, wird „Lehrgeld“ bezahlen.

Es kann einem schon etwas schwindelig sein ob der Entwicklungen und Herausforderungen. Ich sehe das als Ansporn, vom Zieleformulieren nun ins Realisieren zu kommen. Abschließend ist es daher wohl passend zu sagen: It’s all about energy. Die für den Bau und Betrieb unserer gebauten Umwelt. Und unsere eigene, die wir freisetzen müssen, um die Zukunft lebenswert zu erhalten.