Quelle: Jule Roehr

Das Geldversteck unter der Spüle – im Interview mit Dagobert.

Arno Funke wurde einer der bekanntesten deutschen Verbrecher, als er unter dem Namen Dagobert Kaufhäuser erpresste, Bomben legte und lange Zeit die Polizei narrte. Seine kreativen, selbstgebastelten Konstruktionen brachten ihm viel Sympathie ein. Vor 25 Jahren fasste ihn die Polizei schließlich in einer Berliner Telefonzelle. Funke saß sechs Jahre im Gefängnis. Seitdem hat er sein Leben radikal verändert. Er veröffentlichte zwei Bücher und arbeitet heute als Illustrator für ein Satiremagazin. Ein Treffen mit ihm in Berlin.

Arno Funke schrieb 1988 einen Erpresserbrief an das Kaufhaus KaDeWe und konnte mit 500.000 Mark fliehen. Später wurde er unter dem Namen Dagobert bekannt, führte die Polizei immer wieder mit seinen trickreichen Konstruktionen und Geldübergaben in die Irre. So platzierte er eine Streusandkiste auf einem Gullydeckel. Während die Polizisten die Kiste beobachteten, öffnete Funke sie von unten und verschwand mit der Tasche durch den Abwasserkanal. Ein anderes Mal entkam er mit einem Fahrrad. Erst knapp sechs Jahre nach dem ersten Erpresserbrief wurde er verhaftet.

Er trägt eine Brille und ein weißes Hemd. Der 69-Jährige redet gern und lacht viel. Das Berliner Café Graffiti am Kurfürstendamm ist sein Stammlokal, Funke wohnt gleich um die Ecke. Trotzdem kommt er etwas zu spät zu dem verabredeten Treffen. Er sei auf dem Sofa eingenickt, sagt er entschuldigend. Das lag wohl auch am Mittagessen. Den ganzen Morgen hat er in der Küche gestanden und Königsberger Klopse gekocht, seine Leibspeise. Natürlich alles selbstgemacht, das Fleisch durch den Fleischwolf gedreht, erzählt er, führt dabei die Bewegung vor und lacht. Er sei leidenschaftlicher Koch – zur Freude seiner Frau.

Direkte Fragen, ehrliche Antworten.

Sie arbeiten heute als Illustrator. Wie sind Sie dazu gekommen?
A. F.: Ich habe immer schon gezeichnet. Das ist mir in die Wiege gelegt worden. In Kunst hatte ich in der Schule immer eine Eins.

Haben Sie als junger Mensch darüber nachgedacht, das beruflich zu machen?
A. F.: Nee, ich wollte Abenteurer werden.

Abenteurer? Was schwebte Ihnen da vor?
A. F.: Na, so in Marokko in einem Café zu sitzen. Beine auf den Tisch. Bier in der Hand. So Casablanca-mäßig. Und dabei über das nächste Abenteuer nachdenken.

Sie haben dann aber erst einmal eine Ausbildung zum Schilder- und Lichtreklamehersteller gemacht und sind anschließend als DJ durch die Republik getingelt ...
A. F.: ... und in Bielefeld hängen geblieben.

Mit Bielefeld assoziiert man nicht unbedingt Abenteuer.
A. F.: Im Nachhinein ärgere ich mich, dass ich nicht dageblieben bin.

Abenteuerlich wurde Ihr Leben, nachdem Sie nach Berlin zurückkamen. Nervt es Sie, dass Ihre Prominenz immer noch auf dem Kaufhauserpresser Dagobert und damit auf einer Straftat beruht?
A. F.: Ich weiß, dass es meine Vergangenheit ist. Als ich aus dem Gefängnis kam, war es noch merkwürdiger. Da war so ein Medienhype. Ich konnte hier nicht unbeobachtet über die Straßen gehen. Da war immer ein Hallo. Die Leute winkten mir zu, kamen auf mich zu. Die Begeisterung, die mir da bei manchen entgegenschlug, war mir schon ein bisschen unheimlich.

Sie waren Anfang dieses Jahres im Polizeimuseum in Hamburg, wo auch einige Dinge ausgestellt sind, die sie für die Geldübergaben gebastelt hatten. Dort haben Sie auch Fahnder getroffen, die Sie jahrelang verfolgt hatten. Eine seltsame Situation?
A. F.: Ich habe mich privat mit denen unterhalten. Einige haben das sportlich gesehen. Für andere war das sehr belastend. Ein Polizist hat mir von seinem Leid erzählt. Dass er, wenn er von der Aktion nach Hause kam, von den Nachbarn aufgezogen wurde, weil wieder in der Zeitung stand: Dagobert ist schon wieder davongekommen. Es ist klar, so etwas belastet, da fühlt man sich in seiner Berufsehre gekränkt. Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass das nicht leicht war. Es war ja auch nicht meine Absicht gewesen, die Polizei fertigzumachen. Ich wollte damals ja eigentlich auch nur, dass alles schnell vorbeigeht. Aber daraus ist nichts geworden.

Wie kamen Sie 1988 auf die Idee, einen Erpresserbrief an das Kaufhaus KaDeWe zu schreiben und 500.000 Mark zu fordern?
A. F.: Als ich von Bielefeld wieder zurück nach Berlin ging, habe ich in meinem erlernten Beruf gearbeitet. Da hatte ich schon ziemlich viel mit Lösungsmitteln zu tun. Dann kam ich in Kreise, die diese großen amerikanischen, hochfrisierten Autos fuhren. Und die hatten so gerne diese Malereien auf ihren Autos. So Effektlacke, nackte Frauen und Monster. Alles musste glitzern. Ich habe dann deren Autos und Motorräder bemalt, mich als Auto-Sprayer selbstständig gemacht und jahrelang die Lösungsmittel eingeatmet. Und das hatte Folgen. Als Seiteneinsteiger war mir überhaupt nicht bewusst, wie ungesund das Zeug ist. Außerdem war ich ja jung, da kann man schon einiges ab, dachte ich. Das Blöde ist, das ging ganz schleichend. Ich merkte, dass meine Kraft nachließ, dass nichts mehr richtig Spaß machte, was früher Spaß gemacht hatte. Ich bin immer depressiver geworden. Zum Schluss stand ich kurz vorm Selbstmord.

Da blieb Ihnen als Alternative nur der Weg, Kaufhäuser zu erpressen?
A. F.: In der KaDeWe-Erpressung sah ich die Möglichkeit, an Geld zu kommen und mit dem Geld ein neues Leben zu beginnen. Damals reichte das Geld immer gerade für einen Monat. Es gab keine Möglichkeit für mich zu sagen, jetzt mache ich mal ein Jahr Urlaub, finde erstmal zu mir selbst und sehe, wie ich jetzt wieder klarkomme mit meinem Leben. Ich dachte damals auch, dass meine Depressionen mit meinem Alkoholkonsum zusammenhängen könnten. Ich habe zwar nicht hart gesoffen, aber schon jeden Abend zwei Liter Bier und dann vielleicht noch einen Flachmann.

Sie ließen im Mai 1988 nachts im KaDeWe eine Bombe detonieren. Daraufhin wiesen Sie die Polizei an, das Lösegeld aus einer fahrenden S-Bahn zu werfen und flohen mit dem Geld. Ging es Ihnen mit 500.000 Mark in der Tasche besser?
A. F.: Ich hatte mir das Versprechen abgenommen, wenn ich an das Geld komme, werde ich mit dem Alkohol aufhören. Das habe ich auch gemacht. Und wartete nun darauf, dass es mir besser gehen würde. Aber das Gegenteil trat ein. Es ging mir immer schlechter. Ich hatte so ein Schlüsselerlebnis: Ich war schon ein Vierteljahr trocken, es war ein sonniger Tag, es war warm, ich bin durch den Mariendorfer Park gelaufen. Ich sagte mir, der ganze Tag ist deiner, du hast Geld in der Tasche, du könntest alles Mögliche machen. Aber ich konnte nicht.

Hatten Sie zuvor Pläne gehabt, was Sie mit dem Geld anstellen wollten?
A. F.: Ich wusste, dass ich davon eine Existenz aufbauen sollte, aber das ging gar nicht mehr. Es fehlten mir die Freude, der Antrieb, die Idee, etwas zu machen. Ich hatte das starke Gefühl, ich hätte etwas getrunken, obwohl ich vollkommen nüchtern war. Und da merkte ich, hier stimmt etwas nicht. Dann bin ich zum Arzt gegangen und es stellte sich heraus, dass es an den Lösungsmitteln lag. Die Ärzte sagten, das dauere sehr lange, bis es besser werde. Und damit haben sie auch Recht behalten. Ich habe dann einfach von dem Geld gelebt.

In Saus und Braus?
A. F.: Nee, ich habe mir zwar Reisen geleistet und ein Auto gekauft, aber sonst hatte ich den gleichen Lebensstil wie vorher. Bin rumgelaufen wie vorher. 

Sie haben weiterhin in Ihrer Wohnung hier um die Ecke gelebt und sind durch Berlin gelaufen. Hatten Sie nicht ständig Angst, festgenommen zu werden?
A. F.: Ja, das erste halbe Jahr. Aber dann legte sich das. Und als ich aus dem Gefängnis kam und solche Orte aufsuchte wie Karstadt, da war die Erinnerung noch viel frischer. Da war das Gefühl wieder da, sich in einem Albtraum zu bewegen. Aber das hat abgenommen.

Sie konnten das Geld ja nicht auf eine Bank bringen. Wo haben Sie die halbe Million Mark aufbewahrt?
A. F.: Das Geld hatte ich in meiner Wohnung, in einem Versteck unter der Spüle. Das war nicht leicht zu sehen, weil das so verbaut war. Als ich nach einem halben Jahr auf den Philippinen zurück nach Berlin kam, wusste ich nicht mehr, wo das Geld war. Ich habe einen ganzen Tag lang meine Wohnung abgesucht. Normalerweise vergisst man so was ja nicht. Das zeigt vielleicht auch, wie mein Gesundheitszustand damals war. Ich hatte kein räumliches Vorstellungsvermögen und kein Kurzzeitgedächtnis mehr.

Vier Jahre später ging Ihnen das Geld aus und Sie schickten dem Kaufhaus-Konzern Karstadt einen Erpresserbrief. Darin forderten Sie eine Millionen Mark. Es folgten fast zwei Jahre lang zahlreiche Übergaben und ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei. Wenn Sie in so einem schlechten Zustand waren, wie konnten Sie all das planen und durchführen?
A. F.: Ich hatte Zeit. Das hat auch der Psychiater vor Gericht gesagt. Und das stimmte. Ich konnte alles nach meinen Kräften einteilen. Ein normales Berufsleben hätte ich da nicht mehr bewältigen können, so einen Acht-Stunden-Tag. Je nachdem, wie meine Kräfte waren, habe ich zwei Stunden am Tag gearbeitet, bin mit dem Fahrrad oder mit dem Auto spazieren gefahren und habe mich inspirieren lassen, wo und wie so eine Übergabe stattfinden könnte.

Die Geräte haben Sie dann in Ihrer Wohnung gebaut?
A. F.: Nein, ich habe mir eine kleine Werkstatt angemietet.

Woher konnten Sie Bomben bauen?
A. F.: Ich war schon von Kindesbeinen an sehr vielseitig interessiert. Als 14-Jähriger habe ich mir den kleinen Radiomann gewünscht und elektronische Schaltungen fabriziert. Dann habe ich mich mehr für Chemie interessiert und mir den kleinen Chemiekasten schenken lassen. Die interessantesten Experimente waren die, bei denen stand, dass man diese und jene Chemikalien nicht zusammenmischen sollte. Das war ein Hinweis, dies natürlich unbedingt zu tun. Ich habe auch versucht, Raketen steigen zu lassen. Es hat ziemlich gezischt, es gab viel Rauch und dann sind sie umgefallen.

Bei den Bomben, die Sie in den Kaufhäusern detonieren ließen, hätten Menschen sterben können.
A. F.: Wenn ich es gewollt hätte, hätte ich es machen können. Wollte ich aber nicht. Ich habe sie so gebaut, dass nicht viel passieren konnte.

Tüfteln und basteln Sie immer noch?
A. F.: Ich interessiere mich für 3D-Filmerei und habe Experimente mit zwei Kameras gemacht. Dabei habe ich festgestellt, dass ich dafür unbedingt eine variable Basis haben muss. So etwas gibt es aber nicht zu kaufen. Also habe ich mir selbst so eine Schiene gebaut mit Rädchen, auf der man die Kamera hin- und herdrehen kann. Damit habe ich meine Urlaubsfilme in 3D gedreht.

Sie haben einen erwachsenen Sohn. Haben Sie mit ihm über Ihre Vergangenheit als Dagobert-Erpresser gesprochen?
A. F.: Nein, noch nie. Er hat angefangen, mein Buch zu lesen, aber es nicht zu Ende gelesen. Vielleicht hat er in 50 Jahren Fragen, aber dann ist es zu spät. Wie bei meinem Vater. Da war es auch zu spät, als ich ihm Fragen stellen wollte.

Denken Sie manchmal, wenn Sie an einem Punkt im Leben einen anderen Weg eingeschlagen hätten, wäre alles anders gekommen?
A. F.: Ja, das ist immer so. Wenn an irgendeinem Punkt in meinem Leben etwas anders gelaufen wäre, wäre das ganze Leben anders verlaufen. Da habe ich gerade viel drüber nachgedacht, als ich vor kurzem angefangen habe, meine Familienhistorie zu recherchieren. Das ist spannend. Ich wusste bis vor zwei Monaten nicht, wie meine Großeltern hießen. Mütterlicherseits war meine Großmutter norwegisch, mein Großvater deutsch. Väterlicherseits war die Großmutter aus Polen, der Großvater aus Oberschlesien. Aber der Name deutet eigentlich darauf hin, dass er aus Ungarn ist. Wenn einer von denen einmal einen anderen Weg eingeschlagen hätte, dann säße ich heute nicht hier.

Was würden Sie einem jungen Menschen heute sagen, der eine Erpressung plant und Sie um einen Rat bittet?
A. F.: Ich kann nur dringend davon abraten. Als ich Anfang des Jahres mit den Beamten gesprochen habe, die an der Fahndung beteiligt waren, haben sie mir gesagt, dass sie viel aus meinem Fall gelernt haben. So, wie es damals abgelaufen ist, und so, wie sie damals gehandelt haben, würden sie es nie mehr machen. Wer Ähnliches versuchen würde, der würde auf jeden Fall scheitern.

Quelle: Jule Roehr

Zur Person

Arno Funke inszenierte einen der aufwendigsten Erpressungsfälle der deutschen Kriminalgeschichte. Geboren 1950 wuchs er in Westberlin auf und machte eine Lehre zum Schilder- und Lichtreklamehersteller. Danach hatte er mehrere Gelegenheitsjobs, zog als DJ durch die Bundesrepublik, arbeitete als Getränkeauslieferer und kehrte schließlich nach Berlin zurück. Dort lackierte er jahrelang Autos, bis er 1988 einen Erpresserbrief an das Kaufhaus KaDeWe schickte und mit 500.000 Mark fliehen konnte. Als ihm das Geld nach vier Jahren ausging, drohte Funke wieder und legte mehrere Sprengsätze. Der Kaufhaus-Konzern sollte seine Zahlungsbereitschaft in einer Zeitungsanzeige bekunden mit dem Hinweis: „Dagobert grüßt seine Neffen.“ So kam der Erpresser zu dem Spitznamen. Für seine Geldübergaben erfand Funke immer neue spektakuläre Gerätschaften. Einmal gelang es einem der Polizisten fast, den Erpresser zu fassen. Der konnte jedoch im letzten Augenblick fliehen, weil der Beamte ausrutschte. 1994 wurde Funke in einer Telefonzelle festgenommen und zu neun Jahren Haft verurteilt. Ein Gutachter attestierte ihm vor Gericht geminderte Schuldfähigkeit, weil die Lösungsmittel sein Gehirn geschädigt hätten. Bei der Autolackiererei hatte er jahrelang giftige Dämpfe eingeatmet. Wegen guter Führung wurde Funke nach sechs Jahren entlassen. Er schrieb zwei Bücher, ging 2013 ins RTL-Dschungelcamp und arbeitet heute als Karikaturist für das Satiremagazin Eulenspiegel in Berlin.