Zwei Kollegen von den LIST Ingenieuren sitzen vor einem Bildschirm und besprechen ein Gebäudemodell vom Projekt in Eschbach
Quelle: LIST Gruppe

Zeitweise sogar null Betriebs-Emissionen – eine Wissenschaft für sich!

In der Entwicklung eines nachhaltigen Konzeptes für den Betrieb einer Immobilie sind die komplexen Zusammenhänge wohl die größte Herausforderung. Nicht die Zusammenstellung der Lösungen, sondern deren Feintuning macht das perfekte Ergebnis aus.

Bis zum Jahr 2045 will Deutschland Treibhausgas-Neutralität erreichen, das ist im Klimaschutzgesetz festgelegt. Überschreiten Immobilien, die jetzt errichtet werden, eine Lebensdauer von 23 Jahren – was hoffentlich so ausgelegt ist –, sollte das Jahr 2045 in den Planungen dementsprechend eine wichtige Rolle einnehmen. So weit, so reduziert, so klar. Fragezeichen gibt es trotzdem „noch und nöcher“. Allen voran: Wie kommen wir denn überhaupt an die Null in puncto Betriebs-Emissionen? Es gibt natürlich nicht die eine Antwort, trotzdem nehmen wir ein konkretes Beispiel mal etwas genauer unter die Lupe. Uns interessieren die ausgewählten Systeme. Wir schauen aber auch auf deren Dimensionierung und Steuerung, die Zusammenhänge sowie die relevanten Parameter links und rechts der TGA. 

Wir haben uns Arno Schlicht und Hermann Rempel von LIST Ingenieure geschnappt. Die beiden sind absolute Profis in der Planung und Umsetzung von Gebäudetechnik-Konzepten (TGA-Konzepten). Und sie sind irgendwie auch waschechte Nerds: reinfuchsen, jedes Detail auf den Prüfstand stellen, kreative Alternativen entwickeln und Stellschrauben hin und her drehen.  

Unser Musterobjekt entsteht aktuell im Südwesten Deutschlands. Genauer gesagt im Gewerbepark Breisgau in Eschbach im Großraum Freiburg. Dort errichtet das Team vom LIST Bau-Standort Süd-West eine 18.500 qm große Produktions- und Lagerimmobilie für den Hamburger Projektentwickler Ixocon. Die TGA-Planung liefert unsere Inhouse-Ingenieurgesellschaft LIST Ingenieure, für die auch Arno und Hermann arbeiten. Die Avnet Embedded (Freiburg) GmbH, die komplexeste elektronische Geräte und Systeme entwickelt und produziert, wird Mieter und Nutzer sein. Geplant ist eine Build-to-Suit-Lösung, die auf Avnet zugeschnitten ist. Und jetzt kommt der erwartbare Clou: Die Immobilie wird ab Frühjahr nächsten Jahres zeitweise CO2-neutral betrieben. Denn Thomas Stricker, Prokurist bei Ixocon, hat das klare Ziel, eine ökologisch herausragende Immobilie zu entwickeln: „Unser Hauptaugenmerk liegt auf der Energieeffizienz. Gerade wegen der Unsicherheiten 
infolge des Ukraine-Krieges sind ein ressourcenschonender Umgang und eine größtmögliche Unabhängigkeit wichtiger denn je.“

Nahezu fossilfreie Versorgung.

Die gerade wohl wichtigsten nachhaltigen Lösungen für den Betrieb von Produktions- und Lagerimmobilien sind fossilfreie Energie- und Versorgungssysteme. Denn diese stellen ausschließlich erneuerbare Energien bereit. In Eschbach kommt dabei folgende Kombination zum Einsatz: Die Stromversorgung wird über eine Photovoltaik-Anlage mit 532 kWp und 4.655 qm Kollektorfläche sichergestellt. Zusätzlich ist ein Speicher mit insgesamt 308 kWh geplant. Somit kann die Gebäudetechnik (Heizen, Kühlen, Lüften) fast ganzjährig ohne Energie aus dem Stromnetz betrieben werden. Der erzeugte Solar-Strom wird vorrangig für die Versorgung der insgesamt 38 geplanten Ladepunkte verwendet.  

Einen Gasanschluss gibt es hingegen gar nicht mehr. Geheizt und gekühlt wird über Brunnenanlagen mit Grundwasser. „Angedacht war ursprünglich eine Geothermie-Anlage mit Tiefenbohrungen“, erklärt Hermann, Fachplaner Versorgungstechnik bei LIST Ingenieure. „Allerdings befinden wir uns hier in einem Erdbebengebiet mit Kalkschichtverschiebungen. Die maximale Bohrtiefe liegt damit bei 20 Metern. Das reicht nicht aus.“

Deshalb hat das Team von LIST Ingenieure eine Wasser-Wasser-Wärmepumpe ins Spiel gebracht, die über vier Brunnen auf dem Gelände das Grundwasser zur Energiegewinnung nutzt. „Bei diesem System bohren wir zunächst einen Förderbrunnen, der das Grundwasser nach oben zur eigentlichen Wärmepumpe fördert. Dort wird dem Grundwasser im Winter die Wärme und im Sommer die Kälte entzogen. Anschließend wird das im Durchschnitt fünf Grad kältere oder wärmere Grundwasser über einen zweiten sogenannten Schluckbrunnen in den Boden zurückgeleitet“, beschreibt Hermann das eher unbekannte System.

Energieboden als echter Allrounder.

Ein weiterer wichtiger Aspekt im TGA-Konzept sind die Kühl- und Heizsysteme. Im Produktions- und Logistikbereich der Immobilie kommt ein klassisches Fußboden-Heizsystem zum Einsatz. Dieses braucht nur geringe Vorlauftemperaturen. „Spannender wird es beim Energieboden in den Sozial- und Büroräumen“, führt Arno, Projektleiter TGA bei LIST Ingenieure, weiter aus. „Dabei handelt es sich um ein Doppelboden-System aus vorgefertigten Modulen. Jedes Modul steht auf Stützen, damit unter dem Boden ein Hohlraum mit Dämm-Eigenschaften entsteht. Auf den Stützen befindet sich eine Rohträgermatte, in der Auslässe für Bodentanks standardmäßig vorgesehen sind. So haben wir auch nach Gießen des Estrichs langfristig ein Höchstmaß an Flexibilität in der Raumgestaltung. Kabel können über den Hohlraum weiterhin verlegt und Bodentanks über die bekannten Optionen nachgerüstet werden.“

Auch die Gebäudehülle spielt für Arno und Hermann eine wichtige Rolle. Die Dämmung oder die Gebäudeausrichtung sind zwar nicht im klassischen Sinn ein Thema für die Gebäudetechnik, bedingen die Betriebs-Emissionen aber natürlich direkt. Die Außenwände bekommen eine überdurchschnittliche Dämmung nach BEG-40-Standard, bei den Toren werden gezielt Kältebrücken vermieden. „Außerdem haben wir das Gebäude als Speichermasse in den Planungen mit berücksichtigt und die Oberlichter durch Lichtbänder ersetzt“, führt Arno weiter aus.  

Energie-Simulationen: Anlagen 50 Prozent kleiner dimensioniert.

Das Feintuning macht in TGA-Konzepten erst den Unterschied aus. Werfen wir also einen Blick auf die durchgeführten energetischen Simulationen. „Wir haben mit Alware und dem Geschäftsführer Andreas Lahme einen Partner für die Gebäudesimulation. Das Ziel ist die Ermittlung des tatsächlichen energetischen Bedarfs“, nimmt uns Hermann tiefer mit in das Thema. 

Für diese energetische Bedarfsermittlung wird mit realistischen Wetterdaten sowie Annahmen zur geplanten Nutzung des Gebäudes und zur entstehenden Abwärme durch Menschen und Geräte simuliert – für jede der insgesamt 8.760 Stunden im Jahr. „Daraus können wir dann zum Beispiel für jede einzelne Stunde ablesen, wie viel Heiz- oder Kühlenergie gefragt sein wird. Und das wiederum ist unsere Grundlage für die Dimensionierung der Anlagen. Denn dieser tatsächliche Bedarf liegt bis zu 50 Prozent unter den DIN- und VDI-konformen Berechnungen – die eher dem Motto ‚viel hilft viel‘ folgen“, holt Arno weiter aus. „So planen wir ein deutlich wirtschaftlicheres wie auch CO²-reduziertes Konzept. Denn eine kleinere Anlage kostet weniger und braucht grundsätzlich weniger Strom.“

CO2-Belastung auf ein Minimum reduziert.

„Da das Ziel eines wirtschaftlich-nachhaltigen Betriebs klar ausgegeben war, hat alware für das Projekt auch den CO2-Fußabdruck des Gebäudebetriebs simuliert. Dieser basiert auf einer Simulationsmethodik, die alware eigens entwickelt hat. Bei jeder Simulation entsteht ein Teppichdiagramm. Aus diesem lesen wir dann die CO2-Belastung der Anlagentechnik für jede Stunde im Jahr ab“, beschreibt Hermann das Simulations-Ergebnis. „Ein einzelner CO2-Teppich ist schon aufschlussreich, richtig interessant wird es aber erst, wenn man verschiedene Varianten in den Vergleich stellt.“ Insgesamt gab es 30 verschiedene Varianten des TGA-Konzepts, vier davon waren für den Vergleich relevant:

Variante 1:

Sie stellt den sogenannten Referenzfall dar. Das Konzept enthält noch Erdgas als Energiequelle für einen Gaskessel, Gasstrahler und Kältemaschinen. Es beinhaltete aber schon die Dimensionierung der Anlagen auf Basis der Simulation. Diese Variante war zwar keine echte Option, sollte aber zeigen, wo wir herkommen.
 

Variante 2:

Hier wird der erste Planstand von LIST Ingenieure abgebildet. Die Versorgung wird über die natürlichen Energiequellen Wasser und Sonne sichergestellt. Zum Einsatz kommen ein Brunnen-System, eine Wärmepumpe, eine freie Kühlung und eine 2.400 qm große Photovoltaik-Anlage. Die Gebäude-Speichermasse wird aktiv für Wärme und Kälte genutzt.

Variante 3:

Dies ist die Umsetzung. Sie deckt sich in großen Teilen mit Variante 2, die Photovoltaik-Anlage fällt mit 4.655 qm aber größer aus und wird um einen Speicher mit 308 kWh ergänzt.

Variante 4:

Diese Empfehlung lag Andreas Lahme von Alware am Herzen. Sie deckt sich mit Variante 3, hat aber einen deutlich größeren Speicher: 616 kWh. Das Ziel dabei: Die Sommernacht wird CO2-frei. Und das ist wichtig, weil der Strommix in den Sommernächten sehr häufig nur hoch CO2-belasteten Strom anbietet. Und als Option ist diese Variante auch ein bisschen noch mit im Rennen. Im Ergebnis konnten Arno und Hermann die CO2-Emissionen des Gebäudes – den kompletten Leistungsbedarf des Mieters Avnet berücksichtigt – für die vier genannten Varianten nebeneinanderlegen. Der Referenzfall verursacht 20,8 kg CO2-Emissionen pro qm im Jahr. Der Planstand landet bei 12,9 kg CO2-Emissionen pro qm im Jahr. Die Umsetzung verursacht 10,3 und die Empfehlung 10,2 kg CO2-Emissionen pro qm im Jahr. Diese Zahlen ordnet Arno für uns ein: „Damit liegt sogar der Referenzfall weit unter dem durchschnittlichen CO2-Ausstoß von deutschen Produktionsimmobilien. Aber in die Jahre gekommene Bestandsgebäude sind hier auch kein Maßstab. Die viel wichtigere Erkenntnis war für uns, dass wir die CO2-Belastung um 50 Prozent reduzieren konnten. In den Sommernächten und Übergangszeiten gibt es Zeiträume, in denen das Gebäude komplett CO2-frei betrieben wird.“ 
 

Legende.

Die Teppichdiagramme zeigen den CO²-Fußabdruck des Gebäudebetriebs in jeder der 8.760 Stunden des Jahres. Rote Punkte (Stunden mit hoher CO²-Belastung) können mit der Optimierung komplett vermieden werden. Stattdessen entstehen viele weiße und graue Punkte (Stunden mit niedriger CO²-Belastung beziehungsweise überschüssigem Strom, der ins Netz abgegeben wird).

Die CO²-Steuer mit im Blick.

Auch die Kostenfrage spielt in all diesen Überlegungen natürlich eine Rolle. Da liefern die Kolleg:innen von LIST Ingenieure eine wichtige Entscheidungsgrundlage gleich mit. „Wir errechnen mit den Zahlen, wie viel CO2-Steuer in Zukunft gespart werden kann“, erklärt Arno. „Geht man von 30 Euro pro Tonne im Jahr aus – wie sie in den Branchen Verkehr und Wärme schon aktuell aufgerufen werden –, unterbietet die Umsetzungsvariante den Referenzfall um 1.470 Euro im Jahr. Dabei wird es aber ja nicht bleiben. Geht man von realistischen 60 Euro pro Tonne aus, liegt die Ersparnis schon bei 2.940 Euro pro Jahr.“  

Die intelligente Steuerung steigert die Effizienz weiter.

Der Mieter Avnet muss für seine Produktion verschiedene Rahmendaten sicherstellen und auch nachweisen. Dazu zählen beispielsweise eine Temperatur von 22 Grad (+/– 1 Grad) und eine relative Luftfeuchtigkeit von 40 oder 55 Prozent. Außerdem sind eine intelligente Lichtsteuerung sowie eine Gebäude-Leittechnik im Innenbereich vorgesehen. 

Das dafür notwendige Messkonzept verantwortet das Unternehmen Sauter. „Unsere Gebäudeautomation stellt sicher, dass die Sollwerte eingehalten werden. Außerdem ermöglicht sie, die flexible Anpassung der Nutzung im laufenden Betrieb“, erklärt Philipp Renkert, zuständig für Planung und Vertrieb bei Sauter Systems. „Anders als die meisten Bau-Gewerke begleiten wir das Gebäude aber auch über die Inbetriebnahme hinaus. Für die Feinjustierung der MSR-Technik muss das Gebäude ‚leben‘. Erst dann können wir die vielen Stellschrauben final beurteilen.“ Gesteuert wird die Gebäudetechnik unter anderem mithilfe von Fühlern im Gebäude sowie mit standortgebundenen Wetterprognosen. 

Vorgesehen ist beispielsweise auch eine Laufzeitüberwachung von motorischen Brandschutzklappen, die über Abweichungen vom Sollwert informiert. „Wir schreiben das Programm für den Neubau in Eschbach bei uns am Schreibtisch. Dabei definieren wir für jeden erdenklichen Regelparameter eine Annahme beziehungsweise einen Erfahrungswert“, erklärt Philipp Renkert. „Im Frühjahr werden wir dieses Programm physisch vor Ort auf die Automationsstation herunterladen. Erst danach können wir prüfen, inwiefern unsere Annahmen auch wirklich perfekt passen. Über die Management- und Bedieneinrichtung (MBE) können wir direkt vor Ort oder auch aus der Ferne weiter, feiner und effizienter parametrieren – wie zum Beispiel die Regelung des CO2-Gehalts in der Luft. Es könnten beispielsweise die Sollwerte der Volumenstromregler für Besprechungsräume angepasst werden müssen.“

Alles steht und fällt mit der Kommunikation.

Diese Auflistung zeigt vor allem eines: So ein TGA-Konzept ist sehr komplex und erfordert besondere Fachkompetenz und Sorgfalt. Was sie aber nicht abbildet: Diese vielen kleinen Einzelaspekte können wir nur dann erfolgreich in einem Konzept zusammenführen, wenn die Kommunikation zwischen den Projektbeteiligten gut funktioniert. 

„Wir tauchen schon sehr tief in unsere Fachbereiche ein, das wissen wir. Das heißt aber nicht, dass wir uns hinter unserem Fachchinesisch verkriechen“, schmunzelt Arno. „Wir investieren viel Zeit darin, gute und verständliche Entscheidungsgrundlagen vorzubereiten. Im Gegenzug haben wir es hier auf Bauherren- und Mieterseite mit einem Projektteam zu tun, das sich sehr aktiv mit einbringt. So können wir das Potenzial optimal ausschöpfen. Und nur so kann das funktionieren.“

Zwei Kollegen von den LIST Ingenieuren sitzen vor einem Bildschirm und besprechen ein Gebäudemodell vom Projekt in Eschbach
Quelle: LIST Gruppe
Über das Projekt.

In Eschbach bei Freiburg realisiert Ixocon eine circa 18.500 Quadratmeter große Produktions- und Lagerimmobilie. Mieter und Nutzer wird die Avnet Embedded (Freiburg) GmbH, die einen langfristigen Mietvertrag abgeschlossen hat. Avnet benötigt dringend einen Neubau, um mehr elektronische Systeme entwickeln und produzieren zu können, da das Unternehmen am bisherigen Standort in Freiburg nicht genügend Platz hat. Das Team vom LIST Bau-Standort Süd-West verantwortet die schlüsselfertige Errichtung der Immobilie ab der Bauantragsplanung. Unsere Inhouse-Ingenieurgesellschaft LIST Ingenieure unterstützt unser Generalunternehmen dabei und verantwortet das TGA-Konzept.  

Das Projekt umfasst eine zweigeschossige Produktionshalle mit 8.000 qm, eine Logistikhalle mit ca. 7.000 qm sowie ein dreigeschossiges Verwaltungsgebäude mit ca. 3.000 qm Nutzfläche. Das Büro ist über einen Verbindungstrakt mit der Produktion verbunden. Die Produktionsflächen im Obergeschoss sind somit direkt vom zweiten Obergeschoss der Verwaltung erreichbar. Die Immobilie entsteht nach BEG-40-Standard und wird im Frühjahr 2023 fertiggestellt.