Quelle: Illustration © Jackie Niam - stock.adobe.com

Ein Unternehmen für alles. Über den Versuch, die Baubranche zu revolutionieren.

Es war kein bescheidenes Versprechen, mit dem das 2015 gegründete, amerikanische Start-up Katerra auf den Weltmarkt trat. Das Unternehmen kündigte an, die Planung und den Bau von Häusern und anderen Immobilien-Großprojekten zu digitalisieren und zu standardisieren und so die Produktivität von Bauvorhaben um mehr als 50 Prozent zu steigern. Doch schon sechs Jahre später meldete das Unternehmen Insolvenz an. War die Idee nicht realisierbar?

Katerra wurde 2015 von Michael Marks und Fritz Wolff mit Sitz im kalifornischen Menlo Park, einem Teil des Silicon Valleys, gegründet. Mit hohem Digitalisierungsgrad im Planungs- und Bauprozess und den modularen Elementen wollte das Unternehmen die Herstellung eines Gebäudes ähnlich der Produktion eines Fahrzeugs begreifen und massentauglich produzieren. Der gesamte Bauprozess sollte optimiert werden, indem Planungs-, Liefer- und Herstellungsprozesse in einer Komplettlösung angeboten werden. Während bislang dutzende Firmen an der Entwicklung und dem Bau eines Gebäudes beteiligt sind, wollte Katerra alles aus einer Hand liefern. Dabei setzte das Unternehmen auf maximale Vorfertigung in modularer Bauweise und Digitalisierung. 

Hoch gelobtes Konzept.

Das Konzept wurde zunächst als wegweisende Entwicklung für die Baubranche gelobt. Das Start-up expandierte schnell, in wenigen Jahren gelang es Katerra, mehr als 1,6 Milliarden US-Dollar bei verschiedenen Investoren einzusammeln. Die Firma wuchs auf fast 3.000 Mitarbeiter:innen und übernahm zahlreiche andere Unternehmen, wie auch das Architekturbüro MGA des Architekten Michael Green. Katerra baute eine integrierte Technologie-Plattform auf, über die das Unternehmen alle Aufgaben eines Neubau-Vorhabens zusammenführte. Alle relevanten Bauwerksdaten sollten so digital erfasst, Projektbeteiligten zur Verfügung gestellt und mit der gesamten Lieferkette verknüpft werden. Katerra beschaffte Materialien, produzierte das komplette Projekt vor – von der architektonischen Planung, Innenarchitektur und Bauplanung über die Integration von Herstellern und der Produktion von Fertigteilen bis hin zur schlüsselfertigen Montage auf der Baustelle. Zudem sollten die Gebäude mit Sensoren ausgestattet werden, die den Zustand des Hauses überwachen. Diese gesammelten Daten wiederum flossen bei Katerra zusammen mit dem Versprechen, ein smartes Management der Gebäude zu ermöglichen. Eine Analyse der Daten sollte außerdem zukünftige Bauvorhaben optimieren. 

Anfang 2020 flossen dem Unternehmen in einer Finanzierungsrunde noch 865 Millionen Dollar zu. Der größte Geldgeber war der japanische Telekommunikations- Medienkonzern Softbank. Doch ein Jahr später stand Katerra vor der Pleite. Architekt Michael Green kaufte sein Architekturbüro zurück.

Der Zusammenbruch.

Corona habe zu dem Zusammenbruch des Unternehmens geführt, so lautete die Erklärung von Seiten des Unternehmens. Die Pandemie habe die ohnehin schon schwierige Lage verschlechtert. Kritiker:innen sehen das Scheitern allerdings als Beweis dafür, dass es nicht möglich ist, komplexe Bauprozesse zu einer Komplettlösung zusammenzufassen. Größe allein bringe es offenbar doch nicht, das Geschäftsmodell habe sich als nicht tragfähig genug erwiesen. Andere Analyst:innen sehen die Probleme vor allem bei dem Finanzierungsmodell von Katerra. Das Unternehmen hatte sich zu einem Großteil aus dem Softbank Vision Fund finanziert, der nach Fehlinvestitionen in die Kritik geraten war.

Katerra ist nicht das einzige Unternehmen, das sich der Idee angenommen hat, durch Digitalisierung Prozesse schlanker, schneller und preiswerter zu realisieren. Die Entwicklung wird in der Baubranche seit Jahren diskutiert. 2017 warnte McKinsey in einer Studie, dass die Produktivität der Baubranche in Deutschland stagniere und die Standardisierung in der Produktion ein enormes Potenzial biete. Massenproduktionsverfahren mit mehr Standardisierung und Modularisierung könnten die Produktivität von Teilen der Baubranche um das Fünf- bis Zehnfache steigern, so lautete damals die Einschätzung der Unternehmensberatung.

Standardisierung und Digitalisierung.

Die Baubranche ist bisher nur in geringem Maße standardisiert. Arbeitsabläufe im Baugewerbe können sich gleichen, unterscheiden sich dann aber doch im Detail sehr. Das müsse man bedenken, warnen Kritiker:innen immer wieder, wenn es um Standardisierung und Massenvorproduktion geht. Tausende Variablen müssen berücksichtigt werden, denn jedes Teil, jede Schraube, jeder Stein, jeder Wasserhahn kann im Laufe des Bauprojektes zu einer Fehlerstelle werden und das gesamte Projekt aufhalten. 

Die Insolvenz von Katerra sei aber keineswegs der Beweis dafür, dass die Entwicklung grundsätzlich falsch gewesen sei, schlussfolgern andere Expert:innen. Die gesamte Baubranche lasse sich nur nicht in wenigen Jahren umkrempeln, dafür sei sie viel zu komplex. Aber man könne schließlich aus den Fehlern von Katerra lernen. Denn Vernetzung und Digitalisierung sind wichtige Themen, mit denen sich viele Unternehmen schon seit langem intensiv auseinandersetzen. Anders als Katerra versprechen diese nur nicht, mit ihren umgesetzten Maßnahmen gleich die gesamte Branche revolutionieren zu wollen. 

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„Katerra hat versucht, mit einem Schritt vom heutigen Status quo einige Jahre in eine mögliche Zukunft der Bauwirtschaft zu springen – und das in einer Branche wie unserer, die bislang zu Recht nicht den innovativsten Ruf hat. So könnte man den tollkühnen Versuch vielleicht beschreiben. Wie wir heute wissen, hat das am Ende nicht funktioniert. Trotzdem halte ich es für den richtigen Ansatz, die Prozesse genauer zu betrachten und zu digitalisieren. Immobilien sind und bleiben höchst individuelle Produkte. Jeder Kunde, jeder Nutzer hat unterschiedliche Bedürfnisse, das heißt aber eben nicht, dass die Prozesse in der ‚Produktion‘ jedes Mal anders ablaufen müssen. Die Digitalisierung bietet enormes Potenzial, das wir als Branche unbedingt besser ausschöpfen müssen. Vielleicht nicht auf die Katerra-Weise, aber mit dem Katerra-Mut.“

Dirk Schaper 
Vorstand Digitalisierung 
bei der LIST Gruppe