Michael Garstka geschäftsführender Gesellschafter LIST Develop
Quelle: LIST Gruppe

Ist die Party vorbei? Insights aus der Projektentwicklung.

Augenscheinlich war die Expo vor einem halben Jahr die gleiche ausgelassene Party wie eh und je. Unter der Oberfläche brodelte es aber auch schon im letzten Herbst. Vor allem das Projektentwicklungs-Geschäft ist in den Krisenmodus gerutscht. Die einen lächeln es weg, die anderen beklagen sich lautstark. Aber wie sieht es wirklich hinter den Kulissen aus? Und welche Chancen ergeben sich aus der Situation? Wir haben mit Michael Garstka, dem geschäftsführenden Gesellschafter unserer Projektentwicklungssparte LIST Develop, Tacheles geredet.

1. Ja, die Stimmung ist gekippt.

M. G.: „Die Immobilienbranche befindet sich mitten im Umbruch. Das ist mittlerweile, glaube ich, allen klar. Für uns in der Projektentwicklung bedeutet das vor allem, dass wir nur noch sehr geringe Spielräume haben. Zum Teil überraschend, zum Teil aber auch erwartbar haben uns viele Dinge zeitgleich erwischt – oder soll ich besser sagen: eingeholt?! Materialengpässe, die hohen Baukosten, der Zinsanstieg, die erhöhten Eigenkapitalanforderungen der Banken, die Anpassung von Förderungen und die erhöhten Anforderungen an Gebäudestandards vor allem in Richtung Nachhaltigkeit sind in Summe eine enorme finanzielle Hürde. Außerdem gibt es immer attraktivere Alternativen für Geldanlagen. Was bedeutet, dass auch die Renditeanforderungen der Investoren steigen. Die klassische Projektentwicklung bekommt also enormen Druck von beiden Seiten. Und die Krise ist gekommen, um eine Weile zu bleiben. Das müssen wir so hinnehmen. Aber schwarzmalen hilft niemandem weiter. Der entscheidende Faktor an diesem Punkt ist, die aktuellen Rahmenbedingungen als Chance zu verstehen.“

2. Zeit, uns neu zu erfinden.

M. G.: „Weitermachen wie bisher funktioniert heute und auch in Zukunft nicht mehr, davon bin ich überzeugt. Die Nachhaltigkeits- und Digitalisierungs-Themen sind disruptiv. Dazu drei Beispiele. Wussten Sie, dass aktuell über die Zeitschiene für die Pflicht zu Null-Emissions-Gebäuden im Neubau diskutiert wird? Noch steht in der EU-Gebäuderichtlinie das Jahr 2030, eventuell wird die Deadline aber um zwei oder drei Jahre vorgezogen. Mit Projektvorlaufzeiten von mehreren Jahren wird das Thema damit höchst aktuell. In puncto Digitalisierung lohnt sich beispielsweise ein Blick in den Artikel zur Klimarisikoanalyse auf S. 60 dieser Bauwerk-Ausgabe. Da wird klar, dass die Analyse als solche nur die eine Seite der Medaille ist. Ist der Standort einmal umfassend bewertet, braucht es die richtigen digitalen Tools, um die Erkenntnisse in Lösungen umzumünzen. GIS-Analysen oder auch Varianten-Vergleiche sind da nur zwei der Schlagworte, die einen hohen digitalen Anspruch mit sich bringen. Und darüber hinaus gefällt mir auch das Bild, das die Zeitschrift ARCH+ in ihrer aktuellen Ausgabe zeichnet. Und zwar das einer Reparaturgesellschaft. Auch darin versteckt sich ein ganz neuer Anspruch an uns und unsere Branche.

Ziehe ich da einen Strich drunter, sehe ich vor allem das viele Potenzial. Es ist an der Zeit, noch bessere Immobilien zu entwickeln, zu planen und zu bauen. Denn am Ende des Tages sind Immobilien eben immer auch ein Finanzprodukt, das es zu stärken und langfristig abzusichern gilt.“

3. Mund abwischen. Krone richten. Service Development.

M. G.: „Wir befinden uns längst auf einer Reise, in der wir uns neu erfinden. Diese Reise machen wir aber nicht allein. Unser großes Pfund sind unsere Unternehmensgruppe und die vielen verschiedenen Kompetenzen. Denn für Digitalisierungs- und Nachhaltigkeits-Themen braucht es die richtigen Partner. Es wäre vermessen zu glauben, dass wir Projektentwickler plötzlich perfekt mit den Daten innerhalb der BIM-Modelle oder den vielen Nachhaltigkeits-Parametern jonglieren können. Unsere Kernkompetenz würde ich in zwei Bereiche unterteilen. Zum einen finden wir die richtige Kombination aus Standort, Nutzer und Kapital. Zum anderen liefern wir alles aus einer Hand und verantworten das gesamte Projekt von A bis Z. Denn eine Projektidee ist nur dann wirklich gut, wenn wir sie auch auf die Straße bringen. Und aktuell ist die Umsetzungsrate am Markt alles andere als überzeugend. Deshalb steht und fällt der Projekterfolg in meinen Augen damit, dass die verschiedenen am Realisierungsprozess beteiligten Disziplinen näher zusammenrücken. Wenn wir als Projektentwickler unsere Spezialisten für die Nachhaltigkeitskonzeption und -beratung (LIST Eco), für die Generalplanung (intecplan) und den Schlüsselfertigbau (LIST Bau) direkt und wiederholt mit ins Boot holen, entstehen enorme Synergieeffekte – für alle Beteiligten. Und dabei hat der Kunde in uns einen zentralen Ansprechpartner, was ein enormer Mehrwert ist.

Und dann haben wir noch eine zweite Lösung parat, mit der wir vor allem dem Expansionsdruck stark wachsender Anbieter und dem Revitalisierungsdruck großer Bestandshalter begegnen können. Und zwar mit dem Thema Service Development. Denn während wir mit der engeren Zusammenarbeit in der Gruppe viele der herausfordernden Marktanforderungen gut in den Griff bekommen, bleiben die hohen Eigenkapital-Anforderungen eine große Aufgabe. Daran scheitern aktuell viele spannende Projekte. Und das ist nicht nur für uns als Projektentwickler ein Problem, sondern auch für die Betreiber und Investoren, die ihre Expansions-Quoten nicht halten können oder deren Bestände zu Stranded Assets werden. Auch hier ist der gemeinsame Weg der richtige. Wir werden zu einem Full-Service-Dienstleister, der zu einem garantierten Preis das komplette Projekt abwickelt, aber auch das komplette Gruppen-Spektrum und die gemeinsam gesammelte Erfahrung ins Rennen wirft. Außerdem können Sie – wenn Sie es möchten – deutlich mehr Einfluss auf die Projektentwicklung nehmen als bisher.“

4. Einige werden die Party verlassen müssen, die anderen werden in Zukunft anders feiern.

M. G.: „Man kann jetzt viel darüber diskutieren, ob die vergangenen Jahre als goldene Zeiten der Projektentwicklung bezeichnet werden können oder eben genau nicht. Klar ist aber, dass wir eine riesige Party gefeiert haben, auf der jeder Gast herzlich willkommen war. Das Parkett wird jetzt aber deutlich kleiner und die Eintrittskontrollen werden strenger. Einige Marktteilnehmer werden vermutlich also leider nicht mehr lange das Tanzbein schwingen. Das heißt aber nicht, dass die Party komplett vorbei ist. Wir alle müssen uns jetzt bemühen, unseren neuen Weg zu erarbeiten. Die Zeiten der reinen Cashflow-getriebenen Projektentwicklung sind vorbei. Denn die Wertänderungsrendite spielt eine immer entscheidendere Rolle. Der Treiber ist dabei die Nachhaltigkeit. Denn während die EU-Taxonomie und ihre Schutzziele heute noch in den Kinderschuhen stecken, müssen wir Immobilien entwickeln, die auch in 20, 30 oder 50 Jahren der erwachsenen Variante der Taxonomie sowie den im Laufe der Zeit hinzugekommenen Regularien und Anforderungen noch gerecht werden. Eine Herausforderung, aber eine, die sich lösen lässt. Ich bin fest davon überzeugt: Diejenigen, die sich darauf einlassen, dass sich die Spielregeln deutlich verändert haben, werden auch in Zukunft feiern können. Und alle, die mich kennen, wissen: Ich feier gerne.“