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Es geht aufwärts – Steven Pinker sieht das Glas halb voll.

Klimawandel, Populismus, Kriege und Hunger – das sieht alles gar nicht so gut aus in letzter Zeit, oder? "Doch!" sagt Steven Pinker, Professor an der Harvard University.

Steven Pinker ist kanadischer Experimentalpsychologe und Kogitionswissenschaftler an der Harvard University. Der Bestsellerautor hat sich die langfristige Entwicklung der Menschheit angesehen und ist zu einem mehr als überraschenden Schluss gekommen: Es geht den Menschen so gut wie noch nie zuvor!

Der Otto-Normal-Verbraucher nimmt nur das wahr, was ihn persönlich betrifft. Außerdem lebt er im Hier und Jetzt. Ein Tag, eine Woche oder vielleicht ein Jahr – die Zeiträume, in denen wir uns gedanklich bewegen, sind relativ kurz. Eigentlich kein Problem. Es sei denn, man spricht über die langfristige Entwicklung unserer Welt. Denn was wir sehen, sind vor allem die vielen reißerischen und negativen Nachrichten in den Medien. Und die lassen eigentlich nur einen Schluss zu: Die Welt wird immer schlechter.

Verzerren die Medien unser Weltbild?

Der kanadische Experimentalpsychologe und Kognitionswissenschaftler Steven Pinker wünscht sich mehr Distanz und Objektivität. Mit seinem Buch „Enlightenment Now“ sagt er dem Pessimismus der Menschheit jetzt den Kampf an. Er hat die Entwicklung der vergangenen Jahrhunderte gründlich untersucht und in einer groß angelegten Studie zusammengetragen. Damit will er Mut zu konstruktivem Handeln machen und Licht ins Dunkle bringen. Und die Ergebnisse habe es in sich. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass US-Amerikaner und Westeuropäer im Jahr 1870 durchschnittlich 50 Prozent mehr gearbeitet haben als wir es heute tun? Und das ist nur eines von vielen Punkten, in denen die Welt heute runder läuft als jemals zuvor. Dass es mit der Menschheit eher den Berg rauf als den Bach runter geht, ist kein Wunschtraum – für den Aufwärtstrend gibt es solide Zahlen. Aber schauen Sie selbst.

Bildung

Es gehen 90 Prozent der Mädchen wenigstens in eine Grundschule – 1970 waren es erst 65 Prozent. Überall auf der Welt gehen Kinder länger zur Schule und die Alphabetisierung nimmt zu. Und mehr als die Hälfte der Menschheit kann sich über das Internet informieren. 

Mord und Totschlag

Die Welt ist etwa 50 mal weniger gewalttätig als im Mittelalter, wo die Wahrscheinlichkeit, von einem Mitmenschen getötet zu werden, etwa bei 1 zu 1.000 stand, während sie im heutigen Westeuropa etwa bei 1 zu 50.000 liegt. Die Mordrate in Europa ist – im Vergleich zum 14. Jahrhundert – drastisch gesunken, und zwar von 100 Morden pro Jahr je 100.000 Einwohner auf bloß noch einen einzigen. Straftäter sperren wir ganz zivil und gesittet ein, statt sie zu foltern und zu verstümmeln. 2016 ist zwar bekanntlich ein schreckliches Jahr des Terrorismus in Westeuropa gewesen. Insgesamt 238 Menschen starben, doch 30 Jahre zuvor hat es noch 440 Todesopfer gegeben.

Arbeit

Die Arbeitsstunden sind von über 60 Stunden pro Woche sowohl in den USA als auch in Westeuropa im Jahr 1870 auf heute etwa 40 Stunden gesunken. Zudem ist die Hausarbeit von 58 Stunden pro Woche im Jahr 1900 auf 15,5 Stunden im Jahr 2011 zurückgegangen.

Medizin und Lebenserwartung

Die Lebenserwartung ist seit dem Jahr 1830 im Schnitt von weniger als 30 Jahren auf 72 Jahre gestiegen. 72.000 Tote durch Naturkatastrophen waren per Annum in den Jahren 2010 bis 2016 zu verzeichnen, in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts verloren im Jahr dagegen 971.000 Menschen durch Fluten, Erdbeben oder Überschwemmungen ihr Leben. Die Gefahr von Infektionskrankheiten wurde durch Desinfektion, Sterilisation, Impfungen, Antibiotika und andere wissenschaftliche und medizinische Fortschritte stark reduziert. So wurden Milliarden von Leben gerettet. Insbesondere die Kindersterblichkeit und die Müttersterblichkeit wurden drastisch reduziert. So war beispielsweise für eine Amerikanerin die Schwangerschaft vor einem Jahrhundert fast so gefährlich wie heute Brustkrebs. 

Ernährung und Versorgung

Insgesamt ist der Teil der Welt, der in „extremer Armut“ lebt von fast 90 Prozent im Jahr 1820 auf heute 10 Prozent gefallen. 1970 war noch fast jeder dritte Mensch auf der Welt unterernährt. Mittlerweile sind es „nur“ noch elf Prozent. Heute haben die Menschen Zugang zu durchschnittlich 2.500 Kalorien pro Tag. Und das zusätzliche Essen geht nicht nur an die Reichen. In einigen der ärmsten Regionen der Welt ist die Unterernährung rückläufig. Und fast 90 Prozent der Menschen haben mittlerweile Wasser aus einer geschützten Quelle.

Den Berg rauf oder den Bach runter?

Man kann also bezweifeln, dass es wirklich so düster aussieht, wie man gelegentlich den Eindruck gewinnt: Die Lebenssituation von Milliarden Menschen hat sich in den letzten zehn, hundert und mehr Jahren gravierend verbessert. Andererseits ... sind auch die Steine in unserem Weg größer geworden. Gerade menschengemachte Herausforderungen wie der Klimawandel, die Möglichkeiten künstlicher Intelligenz, Gentechnik oder zivile/militärische Atomkraft sind erst seit kurzer Zeit (sagen wir, 50 Jahre?) ein Thema und bieten durchaus eine Möglichkeit, nachhaltig Schaden anzurichten. Von daher kann man vortrefflich darüber streiten, ob unsere Glückssträhne auch anhält.

Wie stehen Sie dazu? Verzerren die Medien oder Pinker das Weltbild? Liegen die fetten Jahre noch vor uns oder sind sie schon lange vorbei? 

Titel und Teaser: picture Alliance/zuma Press