Zwei Hände mit Erde und Würmern
Kompostierung ist eines der Themen, mit denen sich Benedikt Bösel viel beschäftigt. Er und sein Team bringen dadurch Nährstoffe zurück auf den Acker, die sie ihm über die Ernte entziehen | Quelle: Gut&Bösel, Emanuel Finckenstein

"Der Boden ist unser größter Schatz." Benedikt Bösel über die Landwirtschaft der Zukunft.

Benedikt Bösel fordert einen radikalen Wandel in der Land- und Forstwirtschaft. Der ehemalige Banker und heutige Landwirt setzt dafür auf teilweise uralte Methoden der Landnutzung und auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, wie man mit einer innovativen Landnutzung den ganz großen Herausforderungen unserer Zeit begegnen kann.

Benedikt Bösel hat zehn Jahre lang in der Finanzwirtschaft gearbeitet, bevor er Ende 2016 den landwirtschaftlichen Hof seiner Eltern übernahm: einen großen Betrieb in Brandenburg mit 1.000 Hektar Ackerland und 2.000 Hektar Wald. Doch der Boden in einer der trockensten Regionen Deutschlands ist sandig, die Kiefernmonokultur anfällig für Stürme und Brände. Der heute 37-Jährige beschloss, den Betrieb grundlegend zu verändern. Unter dem Konzept „Beyond Farming“ entwickeln Bösel und seine etwa 30 Mitarbeiter:innen eine Vision, die über die ökologische Landwirtschaft hinausgeht. Ihre Arbeit lassen sie wissenschaftlich begleiten und auswerten.

Ist der Boden ein Schatz?
B. B.: „Ja klar! Der Boden ist unser größter Schatz. Der Boden ist ein extrem komplexes Ökosystem und mit die wichtigste Ressource, die wir überhaupt haben. Ein Löffel gesunder Boden hat mehr Lebewesen, als es Menschen auf dem Planeten gibt. Ein gesunder Boden sorgt für gesunde Pflanzen, gesunde Tiere und gesunde Menschen. Der Boden und die Frage der Landnutzung sind der Schlüssel, um die großen Probleme unserer Zeit zu lösen.“

Wie meinen Sie das?
B. B.: „Ob Armut, Flucht, Bildung, Gesundheit, Biodiversität oder natürlich Klimaanpassung – das sind alles Themen, die unmittelbar mit der Frage der Landnutzung zusammenhängen, und zwar weltweit. Die Landwirtschaft ist der größte, direkteste und beste Hebel, um diese Probleme zu lösen. Für diese Überzeugung steht Beyond Farming – ein Ansatz, der mehr Nähe zur Natur, größere Wertschätzung und Respekt gegenüber der Arbeit von Landwirten und Landwirtinnen vermitteln soll.“

Was bedeutet Beyond Farming konkret?
B. B.: „Beyond Farming ist eine Vision. Unsere Vision, um das natürliche Potenzial des Bodens zu verbessern. Das Einzige, was wir beeinflussen können, ist der Boden. Nur ein gesunder Boden kann Wasser schnell aufnehmen, speichern und uns zur Verfügung stellen, wenn es gebraucht wird. Das ist extrem wichtig. Wir haben uns weltweit umgeschaut nach innovativen Landnutzungskonzepten, mit denen wir den Boden aufwerten, seine Gesundheit wiederherstellen und dadurch auch die Widerstandsfähigkeit unseres Betriebes gewährleisten können. Wir sind auf teilweise uralte Methoden gestoßen, mit denen Menschen schon vor langer Zeit das Land bewirtschaftet haben. Dabei geht es nicht um einen verklärten, romantischen Blick, sondern um die reale Chance, Wertschöpfung im ländlichen Raum zu generieren und qualitativ hochwertige Nahrungsmittel zu produzieren. Wir müssen die Ursache unserer Probleme angehen und nicht die Symptome bekämpfen.“ 

Ihr land- und forstwirtschaftlicher Betrieb Gut&Bösel liegt in einer Region in Brandenburg, in der es sehr wenig regnet und die Böden sandig und extrem trocken sind. Wie wollen Sie als Landwirt diesen Boden konkret schützen?
B. B.: „Wir befinden uns an einem der trockensten Standorte Deutschlands. Das heißt, wir erleben heute schon das Zukunftsszenario von Klimawandel und Extremwetterereignissen, das andere Regionen in den kommenden Jahren treffen wird. Deswegen richten wir unseren Fokus auf das Thema Forschung, und zwar eine lösungsorientierte und unabhängige Forschung. Wir forschen nicht im Labor, sondern betreiben On-Farm-Forschung, also im laufenden Betrieb. Wir versuchen, Landnutzungskonzepte zu entwickeln, die mit der Natur arbeiten. Ebenso versuchen wir, die Komplexität von Ökosystemen zu verstehen, die mit natürlichen Kreisläufen agieren. Wir wollen Biodiversität aufbauen, Nährstoffkreisläufe schließen und gleichzeitig hochwertige, nährstoffreiche Lebensmittel produzieren.“

Sie wollen den Boden durch die land- und forstwirtschaftliche Nutzung verbessern. Ist das nicht ein Widerspruch? 
B. B.: „Hier in Brandenburg haben wir über 70 Prozent Monokultur Kiefer und sitzen damit auf einer tickenden Zeitbombe, denn dieser Wald kann hier nicht überleben und wird hier nicht überleben. Die Frage ist daher: Wie können wir einen Wald aufbauen, der aufgrund der Biodiversität resilienter wird, was klimatische Veränderungen angeht? Und wie können wir den Boden schützen durch die Art und Weise, wie wir die Felder bestellen? Dabei versuchen wir, unsere Eingriffe so gut es geht zu minimieren. Gleichzeitig versuchen wir, immer aktive Wurzeln im Bodenraum zu haben und den Boden zu schützen, indem wir ihn stets mit Pflanzen bedeckt halten und für eine hohe Artenvielfalt mit unterschiedlichen Pflanzen sorgen. Dabei erforschen wir, wie unterschiedliche Agroforstsysteme, Kompostierung und die Integration von Kühen in den Ackerbau zum Wiederaufbau des Bodens beitragen können.“

Was ist Agroforst?
B. B.: „Wir pflanzen schmale Baumstreifen, die gleichmäßig über die Äcker verteilt sind. Mittlerweile haben wir fünf verschiedene solcher Flächen auf über 50 Hektar angelegt. Dort wachsen circa 60 verschiedene Obst-, 30 verschiedene Beeren- und 30 verschiedene Nusssorten. So schauen wir, was wir an mehrjährigen, langfristig wachsenden Bäumen und Büschen in den Ackerbau integrieren können. Damit verringern wir Winderosionen, erreichen ein verbessertes Mikroklima zwischen den Reihen, der Boden kann besser Wasser speichern und wir produzieren außerdem noch hochwertige Lebensmittel. Auch das Thema Kompostierung ist wichtig. Wir bringen dadurch Nährstoffe zurück auf den Acker, die wir ihm über die Ernte entziehen.“

Und dabei spielen Kühe in Ihrem Betrieb auch noch eine wichtige Rolle?
B. B.: „Mit dem ganzheitlichen Weidemanagement integrieren wir die Kühe in den Ackerbau, und zwar richtig in den Ackerbau, nicht nur auf Grünland. Dabei orientieren wir uns an den natürlichen Herdenbewegungen von Herbivoren (Pflanzenfressern) in großen Graslandschaften, die immer eng zusammenstehen und immer in Bewegung sind. Das simulieren wir, indem wir mobile Zäune aufstellen und die Kühe mehrmals am Tag von einer kleinen Parzelle zur nächsten führen. So können wir mithilfe der Kühe dafür sorgen, dass das Pflanzenwachstum angeregt wird und über eine erhöhte Photosyntheseleistung mehr Kohlenstoff im Boden gespeichert werden kann.“ 

Warum werden die Kühe nicht auf eine große Fläche gelassen?
B. B.: „Wenn die Kühe eng zusammen nur für kurze Zeit auf einer kleinen Parzelle stehen, selektieren sie nicht, sondern fressen alle Pflanzen, die um sie herum sind. Sie nehmen jeweils ein paar Bissen und laufen weiter. Dabei drücken sie gleichzeitig auch viele der Pflanzen wieder auf den Boden, sodass dieser nach dem Beweiden wieder bedeckt ist. Das schützt ihn vor Sonneneinstrahlung, vor Verdunstung und Austrocknung und bietet Nahrung für die Mikroorganismen. Gleichzeitig haben die Pflanzen, weil sie von der Kuh nur einmal von oben angebissen wurden, noch genug Blattmasse, um Photosynthese zu betreiben. Auf das Abfressen reagieren sie dann mit erhöhtem Wurzelwachstum. Nach dem täglichen Umstellen kehren die Kühe mindestens zehn Wochen nicht mehr auf dieselbe Fläche zurück, sodass die Pflanzen und Wurzeln ungestört Zeit haben zu wachsen. Dadurch wird wieder Humus aufgebaut und CO2 aus der Atmosphäre als Kohlenstoff im Boden gespeichert.“

Wie finanzieren Sie all diese Projekte?
B. B.: „Wir sind ein großer Land- und Forstwirtschaftsbetrieb. In der Landwirtschaft verdienen wir Geld hauptsächlich über den Verkauf von Getreide und in der Forstwirtschaft hauptsächlich über den Verkauf von qualitativ relativ minderwertigem Holz. Wenn ich den Hof einmal an eines meiner Kinder weitergeben will, dann muss ich die Landnutzungsphilosophie ganz grundsätzlich verändern. Es reicht dann nicht zu sagen, wir machen noch eine neue Frucht, die besser mit der Trockenheit klarkommt. Wir müssen das ganze System verändern. Mit dieser Überzeugung bin ich gestartet und habe versucht, Fördergelder aufzutreiben. Doch meine Anträge wurden zunächst alle abgelehnt.“

Mit welcher Begründung?
B. B.: „Mit der Begründung, das Integrieren von Bäumen und Tieren in den Ackerbau sei keine Innovation. Ich habe damals gesagt, es handle sich um systemische Innovation, aber lange wurde Innovation nur mit Technologie verbunden. Also entschloss ich mich, es einfach selbst zu machen. Ich hatte noch ein paar Rücklagen aus meinem vorherigen Leben, ein paar Aktien und einen Audi – und habe die verkauft, und ein Darlehen aufgenommen und damit eine eigenständige kleine Firma gegründet, mit der wir dann die ersten Forschungsprojekte umgesetzt haben. Gott sei Dank haben wir dann nach den Anfangsjahren Unterstützung von Firmen wie FollowFood und Ecover bekommen. Mittlerweile haben wir eine Stiftung gründen können, die uns ermöglicht, die Projekte wissenschaftlich begleiten zu lassen. Wir wollen zeigen: Wenn wir an diesem Extremstandort alternative Landnutzungsmodelle entwickeln können, die nachweislich in der Lage sind, ökologische, ökonomische und soziale Vorteile zu bringen, im Vergleich zu aktuell bestehenden Systemen, können wir damit einen Paradigmenwechsel einleiten. Wenn das auf diesem trockenen Boden funktioniert, dann kann das überall funktionieren.“ 

In den vergangenen Jahrzehnten wurde in der Landwirtschaft vor allem auf Ertragsmaximierung und Kostenreduzierung gesetzt. Wie wollen Sie Landwirt:innen davon überzeugen, statt in intensive Landwirtschaft und Hochleistungsbetriebe in artenreiche Baumreihen und ganzheitliches Weidemanagement zu investieren? Die Landwirt:innen müssen ja auch davon leben können.
B. B.: „Ich möchte erstmal niemanden überzeugen, sondern muss unsere Arbeit hier an unserem Standort gut machen. Langfristig wollen wir daten- und zahlenbasiert zeigen, dass die  Systeme funktionieren, dass man mit dem System mehr Geld verdienen kann, die Profitabilität verbessert wird, während – und das ist ganz wichtig – der Boden und die Biodiversität verbessert werden. Die Daten wollen wir als Open Source zur Verfügung stellen. Wir benötigen belastbare exemplarische Deckungsbeitragsrechnungen für regenerative und multifunktionale Landnutzungssysteme, sodass jeder Landwirt und jede Landwirtin eigene Wirtschaftlichkeitsberechnungen durchführen können. Das heißt, ein Landwirt oder eine Landwirtin muss ein Zahlenkonvolut über Kosten der Pflanze, Pflege, Ernte, Höhe der Ertragspotenziale haben, damit er oder sie das für den jeweiligen Standort auch durchrechnen kann. Bevor wir nicht die Zahlen haben und zeigen konnten, dass das ein gutes Investment ist, wird niemand in solche Systeme investieren. Vielleicht sind wir in einigen Jahren auch so weit, dass dann die Ökosystemleistungen bezahlt werden.“

Was heißt das?
B. B.: „Dass wir die Ökoleistungen und Ökokosten miteinbeziehen. Auf die Landwirtschaft übertragen bedeutet das: Wenn man besondere Arbeiten auf sich nimmt, um den Boden zu schützen, wie Humus aufzubauen, Kohlenstoff im Boden zu speichern, unterschiedliche Früchte nacheinander anzubauen, immer dafür zu sorgen, dass der Boden bedeckt ist, wird das honoriert. Oder beim Wald: Ein sinnvoller Wald funktioniert nicht nur mit Bäumen, die ich schnell gut verkaufen kann. Wenn man Land- oder Forstwirtschaft betreibt, bei der der Boden, die Tiere, Mitarbeiter:innen oder die Artenvielfalt leiden, dann entstehen zusätzliche Kosten, die mitgerechnet werden müssten. Wir müssen endlich alle Kosten und Leistungen, die wir als Menschen erzeugen, analysieren und bewerten.“

Zwei Hände mit Erde und Würmern
Kompostierung ist eines der Themen, mit denen sich Benedikt Bösel viel beschäftigt. Er und sein Team bringen dadurch Nährstoffe zurück auf den Acker, die sie ihm über die Ernte entziehen | Quelle: Gut&Bösel, Emanuel Finckenstein

Benedikt Bösel ist Founder und CEO von Gut&Bösel – ein land- und forstwirtschaftlicher Betrieb in einer Region in Brandenburg, in der es sehr wenig regnet und die Böden sandig und extrem trocken sind. Unter 
dem Konzept „Beyond Farming“ entwickeln Bösel und seine etwa 30 Mitarbeiter:innen eine Vision, die über die ökologische Landwirtschaft hinausgeht. Für die wissenschaftliche Begleitung hat Bösel eine Stiftung gegründet. Er will zeigen: Wenn er an diesem Extremstandort alternative Landnutzungsmodelle entwickeln kann, die nachweislich in der Lage sind, ökologische, ökonomische und soziale Vorteile zu bringen, im Vergleich zu aktuell bestehenden Systemen, kann er damit einen Paradigmenwechsel einleiten.