Quelle: a|w|sobott, André Sobott

Backstein, Teil 01 | Der Hersteller – zu Gast bei der Familienziegelei Deppe.

Seit mehr als einem Jahrhundert brennt die Familie Deppe Ziegel. Wer könnte uns den charismatischsten aller Baustoffe besser vorstellen?

Er wird seit Jahrtausenden aus den vier Elementen Erde, Wasser, Luft und Feuer hergestellt. Egal, wie alt er ist, er verliert nicht an Qualität. Denn er altert in Würde. Ein Backstein hat Charme. Davon ist Dirk Deppe, Geschäftsführer der Deppe Backstein-Keramik GmbH, überzeugt. Er und seine Familie backen seit über 130 Jahren verschiedene Sorten Ziegelsteine. Bei einem Besuch in seiner Ziegelei in Lemke bei Uelsen gibt er uns einen Einblick in die Welt des traditionellen Baustoffs.

Rattern, maschinelles Summen, Klappern und Motorenbrummen sind zu hören. Metall, Rohre, Maschinen, Konstruktionen, Bewegung und Dreck sind zu sehen. Ja, so etwas gibt es heute noch. Steht man als Besucher mitten in einer Ziegelei, fühlt man sich in die Vergangenheit zurückversetzt. Auch wenn die Methoden der Produktion heute natürlich wesentlich effizienter und präziser sind, erinnert das Werk an die Industrialisierung.

Lokale Rohdiamanten.

Wir gehen durch ein Tor nach draußen und bleiben stehen. Hier werden die Zutaten für den „Backstein-Teig“ gelagert. Das Rohstoffdepot sieht von der Aufteilung her aus wie Pferdeboxen. Dirk Deppe geht auf das mittlere Lager zu. „Das ist der Ton aus unserer eigenen Tongrube, die sich nur einen Katzensprung von unserem Werk entfernt befindet“, erklärt er. „Ziegeleien sind immer dort entstanden, wo der Rohstoff war.“

Er nimmt eine kleine Handvoll von dem großen Haufen. Der Rohstoff ist dunkelgrau, körnig und klebrig. „Lassen Sie sich nicht von der Farbe des Tons täuschen, sie verändert sich noch – der Ton brennt rot aus“, erklärt der Unternehmer. Ein Radlader schaufelt den groben Ton in einen sogenannten Kastenbeschicker, von wo aus er auf ein Förderband gelangt und in die Ziegelei fährt. Wir gehen am laufenden Band entlang zurück in die Produktionshalle.

„Wir Ziegler sind Homogenisierer. Wir mischen, mischen, mischen. Und machen es wieder.“ An einem sehr großen, runden Gefäß, das aussieht wie ein Silo, bleiben wir stehen. Im Inneren rumpelt es. Ich schaue durch ein kleines Gitterfenster und sehe eine sich drehende Steinwalze. „Hier im sogenannten ‚Kollergang‘ läuft eine tonnenschwere Walze ständig im Kreis über den groben Ton und zerkleinert ihn. Und ganz wichtig: Es wird Wasser hinzugefügt, erfahre ich. „Tonmineralien sind plastisch und lassen sich mit Hilfe von Wasser in verschiedene Geometrien bringen. Wasser macht Ton formbar.“

Vielfalt durch Mischung

Der erstmals bearbeitete Rohstoff wird auf dem Förderband weitertransportiert. Dirk Deppe nimmt wieder einen kleinen Brocken in die Hand: „Der Ton ist nun noch klebriger und besser formbar.“ Ich teste den Klumpen – er fühlt sich an wie dichte Knete. Nach diesem Schritt durchläuft der Ton weitere, ähnliche Misch- und Zerkleinerungsprozesse. Dabei werden bei Bedarf auch andere Stoffe hinzugefügt: „Jeder Ton ist aufgrund seiner Entstehung verunreinigt, wodurch er seine individuelle Brennfarbe erhält. Durch die Zugabe von beispielsweise Eisen- oder Manganoxid oder die Beimischung anderer Tonsorten verändern wir diese Grundfarbe und sorgen so dafür, dass Farben und Verläufe nach den Vorstellungen unserer Kunden entstehen. Das muss man können.“

Traditioneller Familienrezepte sei Dank.

Wir machen einen Zwischenstopp in einem Container. Dirk Deppe zieht einen Ordner aus dem Regal. „Hier drin sind einige unserer Familienrezepte für verschiedene Backsteinsorten“, teilt er mit, während er blättert. Er nimmt einen anderen Ordner in die Hand. Es sind einige Tabellen mit Strichen darin zu sehen. „Wir dokumentieren hier alle Materialien, ähnlich wie bei einem Backrezept. Gerechnet wird bei uns aber in Schaufeln.“

Das nun feuchte, gut gemischte und aufbereitete Rohmaterial wird zur Formgebung befördert. Die Ziegelei verwendet verschiedene Verfahren dafür – je nachdem, welche Art Backstein hergestellt werden soll. „Wir nutzen drei grundlegende Formgebungsprinzipien: Das Strangpress-, Handform- und Wasserstrichverfahren.“ Ich lerne, dass das Handformverfahren am ehesten dem Ursprung der Herstellung von Backsteinen entspricht: Beim „Einschlagen“ des Tons in die besandete Form wird dieser an die Seitenwände gequetscht. Dadurch ergeben sich reliefartige Faltungen, die auch nach dem Brand sichtbar bleiben und jedem Ziegel eine individuelle Oberflächenstruktur verleihen. Im Gegensatz zu früher erfolgt dies aber nicht mehr per Hand, sondern per Maschine.

Dirk Deppe erläutert weiter: „Während beim Handformverfahren Sand als Trennmittel zwischen Ziegelrohling und Form dient, wird beim Wasserstrichverfahren Wasser verwendet. Dadurch entsteht die typische, wassergestrichene Oberfläche. Wasserstrichziegel sind im Vergleich zum Handformziegel etwas glatter. Das kommt vor allem bei Architekten gut an. Beim Strangpressverfahren wird der Ton hingegen unter Druck zu einem langen Strang gepresst, von dem die Formlinge abgeschnitten werden. So entstehen die glattesten, gleichförmigsten Backsteine. Je nachdem, ob zusätzliche Oberflächeneffekte gewünscht sind, werden die Steine besandet, genarbt oder bekohlt.“

Durchpusten, bevor es heiß wird.

Wir gehen eine Leiter hoch und blicken auf säuberlich aneinandergereihte bleiche Quader hinab. Sie sind das Produkt der Formung. „Die müssen nun getrocknet werden“, erfahre ich. „Das Trocknen dauert ein bis dreieinhalb Tage. Dafür haben wir einen speziellen Trockner mit Ventilatoren – wie ein starker Föhn.“ Da gehen wir jetzt hin. Treppe runter, durch ein Gittertor, über Schienen, durch die die Backsteine von A nach B kommen, und einen Vorsprung hoch. Der Trockner ist wirklich riesig. Es wird warm und feucht, man hört das Dröhnen der Ventilatoren. „Die trockenen Steine sind etwas kleiner als die noch feuchten“, führt Dirk Deppe aus. Und tatsächlich – hält man beide aneinander, erkennt man einen Unterschied. „Durch die Trocknung zieht sich der Stein etwas zusammen. Wir kalkulieren dies als Schwindung bis zu sechs Prozent immer mit ein.“

Als Letztes stoppen wir beim Herz der Ziegelei – dem Tunnelofen. Diesen haben der Ziegler und sein Team mit entwickelt. Er ist 80 Meter lang. Aus der Steinwand ragen unzählige Ventile und Schläuche heraus. „Hier sind wir beim vierten Element neben Erde, Wasser und Luft angekommen, das es braucht, um einen Backstein zu erschaffen: Feuer“, erläutert der Geschäftsführer. Die Steine durchleben eine Ofenreise von circa zwei Tagen. Dabei durchfahren sie eine spezielle Brennkurve, in der es je nach Rezept am höchsten Punkt bis zu 1.200 Grad heiß wird. Im Brennprozess laufen im Stein komplexe chemische Prozesse ab – zum Beispiel diffundiert Sauerstoff in die Poren hinein. Wir gehen am Ofen vorbei an das Ende, wo die fertigen Produkte herauskommen. Riesige Stapel roter Backsteine ragen aus dem Ofen heraus. Insgesamt kommen rund 25 Millionen Backsteine pro Jahr aus diesem Ofen. Er ist 24/7 im Einsatz.

Mit jeder Menge Sexappeal.

Dirk Deppe nimmt einen Stein in die Hand. Der Unternehmer ist von seinem Produkt überzeugt: „Backsteine sind extrem sexy. Sie sind vielfältig und haben eine hohe Ästhetik, die Gebäuden einen besonderen Charme verleiht. Und nicht nur das – er ist auch technisch ein hervorragendes Produkt: Er ist extrem robust und trägt maßgeblich zur Wirtschaftlichkeit eines Gebäudes bei. Er speichert unter anderem Wärme und hält Kälte ab, schützt vor Schall bis zu 70 dB und ist feuersicher. Das sind nur einige seiner Vorzüge. Das wissen die Menschen schon sehr lange – Backsteine sind einer der ältesten Baustoffe der Menschheit. Er kam bereits rund 4.000 vor Christus in einfacher Form zum Einsatz.“

Trotzdem haben es die Produzenten heute schwer: „Es gibt in Deutschland keine 100 Ziegeleien mehr. Wir als Familienunternehmen müssen uns gegen die ‚Großen‘ durchsetzen. Das schaffen wir, indem wir individuelle Backsteine herstellen und auch für abgefahrene Ideen brennen.“ Eines von Dirk Deppes abgeschlossenen Lieblingsprojekten ist die Bremer Landesbank. Ihre facettenreiche Fassade mit vielfältigen Wölbungen, Säulen und Linien sticht als für heute untypisches Bauwerk heraus. „Solche Projekte, bei denen wir erst ausprobieren müssen, bevor wir den perfekten Stein anfertigen können, verlangen uns viel ab. Aber wir freuen uns über das Ergebnis – Standard kann jeder.“

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Quelle: a|w|sobott, André Sobott

Zur Person

Dr. Dirk Deppe ist neben der Familienziegelei aufgewachsen. Nach seinem Studium der Glas- und Keramiktechnik und seiner Promotion in Verfahrenstechnik hat er 2007 die Leitung des Familienunternehmens in fünfter Generation übernommen. Ihn fasziniert, dass seine Produkte Stadtbilder prägen. Er liefert Architekten, die etwas Dauerhaftes schaffen möchten, den passenden Baustoff. Deppe ist kein Konzern mit vielen Standorten – hier herrscht der Charme eines Familienunternehmens. Viele der insgesamt über 60 Mitarbeiter sind bereits seit Jahrzehnten für die Ziegelei im Einsatz.