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Gar nicht so einfach – Über den Umgang mit Wasser im Tiefbau.

Die Bagger rollen unermüdlich, die Scheiben im Nachbargebäude vibrieren geräuschvoll, Erde wird in riesigen Massen abgetragen und an anderen Stellen wieder aufgeschüttet – alles Anzeichen dafür, dass auf dem Grundstück nebenan die Tiefbauarbeiten beginnen. Hinten links ein Becken voll Wasser. Wofür ist das eigentlich da und wie geht man mit Wasser im Tiefbau um? Jan Martin, unser Leiter für Tiefbau, hat uns diese Fragen beantwortet.

„Wasser spielt eine enorm große Rolle für uns. Im Tiefbau muss Wasser an vielen Stellen mitgedacht werden und nur mit einem guten Wassermanagement können wir die Grundlagen für den weiteren Bau schaffen“, beginnt Martin.

Blick in die Tiefe.

Bevor ein Baufahrzeug anrückt, muss eine umfassende Baugrunduntersuchung durchgeführt werden. Diese analysiert den Baugrund und seine Zusammensetzung. Denn unterschiedliche Bodentypen haben unterschiedliche Wasserdurchlässigkeiten. Die Untersuchung gibt auch ein flächendeckendes Bild des Baugrunds preis und stellt die genauen geologischen Gegebenheiten dar. „Es kann zum Beispiel vorkommen, dass über das Grundstück verteilt, verschiedene geologische und hydrologische Verhältnisse vorliegen“, ergänzt Martin. „Jede Baugrunduntersuchung liefert uns die Grundlagen, die wir brauchen, um unsere individuellen Lösungen zu planen.“

„Zu wissen, auf was für einem Baugrund wir bauen, ist für jedes Projekt eine elementare Voraussetzung.“

Bei der Baugrunduntersuchung werden die Bodenarten in Bodenklassen und Homogenbereiche eingeteilt. So erhalten die Fachleute Auskunft über die Tragfähigkeit und den Schichten-Aufbau des Untergrunds. Die Bodenklassifizierung erfolgt in der Regel auf der Grundlage von Baggerschürfungen, Rammsondierungen und chemischen Untersuchungen, bei denen Eigenschaften wie Korngröße, Konsistenz, Wasserdurchlässigkeit, Frostempfindlichkeiten und bodenmechanische Kennwerte bewertet werden. „Zu wissen, auf was für einem Baugrund wir bauen, ist für jedes Projekt eine elementare Voraussetzung. Basierend darauf können wir die erforderlichen Bauverfahren und das Bodenmanagement festlegen. Die geotechnischen Bodenkennwerte beeinflussen die Auswahl der Gründungsmethoden, die Bodenstabilisierung, den Einsatz von Drainagesystemen und die Dimensionierung von Bauwerken.“ Martin ergänzt, dass es zudem nicht nur um die Bodenbeschaffenheit gehe. Man dürfe das Grund- und Schichtwasser nicht vergessen. Dieses ist ein wichtiger Bestandteil des Wasserkreislaufs und hat direkte Auswirkungen auf den Baugrund „Also müssen wir auch dieses vorhandene Wasser unbedingt effektiv kontrollieren. Und Grundwasser ist nicht gleich Grundwasser.“

„Ohne Infos zu Grundwasserstand, -qualität und -fließrichtung können wir nicht starten“, erklärt Martin weiter. „Wir müssen beispielsweise wissen, wie hoch das Wasser im Boden steht, weil der Grundwasserstand variieren und sich je nach geografischem Standort, Jahreszeit und klimatischen Bedingungen auch ändern kann.“ In Verbindung mit dem Wissen darüber, wie das Grundwasser unter dem Grundstück fließt und sich bewegt, können die Tiefbau-Planer:innen entscheiden, ob der Grundwasserspiegel abgesenkt werden muss. Denn klar ist: Die Bauarbeiten sollten auf trockenem Baugrund beginnen und durchgeführt werden können.

Weitere mögliche Risiken für das Bauprojekt und die Umwelt werden auf Basis der Grundwasserqualität bewertet. Verschiedene Parameter wie pH-Wert, Verschmutzung, Salzgehalt oder Betonaggressivität geben Aufschluss darüber, ob die Grundwasserqualität verbessert oder die Betongüte der Bauteile angepasst werden muss.

Als Nächstes wird geplant.

Im zweiten Arbeitsschritt geht es für die Tiefbauer an die Planung. Neben der Verkehrs- und Höhenplanung wird hier auch im Speziellen der Umgang mit dem angefallenen Niederschlagswasser geplant. Für Letzteres dienen die in der Baugrunduntersuchung erhobenen Daten als Grundlage. „Es gibt verschiedene Wassermanagementmethoden im Tiefbau, die Bestandteil eines Wassermanagementplans sein können“, geht Martin ins Detail. „Vor allem die folgenden fünf kommen in unseren Projekten regelmäßig zum Einsatz.“

Rückhaltung durch Rückhaltebecken:
Rückhaltebecken sind künstlich angelegte Strukturen, die Regenwasser aufnehmen und vorübergehend speichern, um den Abfluss in die Kanalisation oder in natürliche Gewässer zu reduzieren. Diese Becken können oberirdisch oder unterirdisch angelegt werden und dienen dazu, den Wasserstand während eines Starkregenereignisses zu regulieren und Überflutungen zu verhindern. Das gespeicherte Wasser kann dann kontrolliert abgelassen, zur Bewässerung genutzt oder wiederverwendet werden.

Versickerung:
Versickerung ist eine Methode, bei der Regenwasser in den Baugrund infiltriert wird. Dies geschieht entweder durch speziell angelegte Versickerungsanlagen wie Rigolen, Mulden oder kombinierte Mulden-Rigolen-Systeme. Hier wird das Wasser auf natürliche Weise über die belebte Oberbodenschicht gereinigt, bevor es in den natürlichen Wasserkreislauf zurückgeführt wird.

Trennsysteme und Abflusssteuerung:
Trennsysteme trennen das Regenwasser vom Schmutzwasser und leiten es direkt zu den Rückhalteeinrichtungen, zur Versickerung, zu den Einleitestellen des öffentlichen Kanals oder zur Vorflut, einem (natürlichen) Gefälle, über welches Waser abfließen kann. Durch den Einsatz von speziellen Ablauf- und Hebeanlagen kann der Wasserfluss reguliert werden. Dadurch können die Gebäude vor Überflutungsschäden geschützt werden.

Regenwassernutzung:
Die Regenwassernutzung beinhaltet das Sammeln und Speichern von Regenwasser für die spätere Verwendung. Regenwasser kann für Bewässerungszwecke, Toilettenspülungen, Waschmaschinen oder andere nicht trinkwasserbezogene Anwendungen verwendet werden. Durch die Nutzung von Regenwasser kann der Bedarf an kostbarem Trinkwasser reduziert werden. „Leider wird Regenwasser noch viel zu selten weiterverwendet. Die Regenwassernutzung ist eine Methode, die wir stärker verfolgen wollen“, verdeutlicht Martin hier.

Drainagesysteme:
Gutes Wassermanagement im Tiefbau hilft auch, das Bauwerk vor Wasserschäden zu schützen. Eine wasserdichte Bauwerksabdichtung – insbesondere im Bereich der Kellerwände und Fundamente – verhindert, dass nachher das Gebäude mit Wasser vollläuft oder andere Schäden entstehen. Hierfür können zusätzlich Drainagesysteme um das Bauwerk herum installiert werden. Das System schützt den Beton zusätzlich wirkungsvoll vor eindringendem Wasser und sichert so die langfristige Lebensdauer der grundlegenden Struktur des Bauwerks.

Die Bagger rücken an.

Nach der Baugrunduntersuchung und Planung können die Bagger anrücken, die Baustellencontainer aufgebaut und die obersten Bodenschichten abgetragen werden. „Während der Tiefbauarbeiten setzen wir alles um. Also raus aus der Theorie, rein in die Praxis. Zum einen müssen wir die geplanten Maßnahmen für das langfristige Management von Wasser realisieren. Zum anderen müssen wir aber auch ein Wassermanagement für die Baustellenzeit an sich – unter anderem auch für Starkregenereignisse – in die Tat umsetzen“, beschreibt Martin. „Unser Credo ist immer, das Wasser so schnell es geht kontrolliert abzuleiten. Aber wir müssen dabei darauf achten, dass das Wasser nicht unser Grund stück verlässt. Es darf nicht willkürlich wegfließen“, erklärt Martin. Das Wasser muss während der Tiefbauarbeiten auf dem Grundstück kontrolliert werden. Hier können verschiedene Maßnahmen ergriffen werden. Dazu gehört die Installation von Entwässerungssystemen wie Gräben, Drainagen oder Auffangbecken, die das Wasser ableiten. Dabei sei es besonders wichtig, die Geländeneigung zu berücksichtigen und das Wasser zu den dafür vorgesehenen Abflusspunkten zu lenken. Gegebenenfalls könnten an kritischen Punkten auch temporäre Barrieren wie Dämme oder Gräben eingesetzt werden.

„Während des gesamten Tiefbauprozesses ist ein kontinuierliches Wassermanagement erforderlich. Dies beinhaltet regelmäßige Inspektionen, Überwachung des Grundwasserstands, Überprüfung der Entwässerungssysteme und gegebenenfalls Anpassungen oder Reparaturen“, beschreibt Martin die Arbeiten. Ein effektives Wassermanagement reduziert das Risiko von Wasserproblemen während und nach Abschluss der Tiefbauarbeiten und sorgt für die langfristige Integrität des Bauwerks.

Keine nullachtfünfzehn Lösungen.

Jedes Grundstück ist verschieden, der Baugrund ist anders zusammengesetzt, das Grundwasser steht und fließt unterschiedlich. Martin erklärt: „Jedes Bauvorhaben ist eine neue Herausforderung, weil die Rahmenbedingungen individuell sehr verschieden sind. Und nicht vorhersehbare Wetterereignisse erfordern zusätzlich eine vorausschauende Perspektive auf das Management während der Bauphase. Man braucht schon besondere Kompetenzen und möglichst auch Erfahrung, dann lässt sich das Wassermanagement im Tiefbau sehr gut planen und kontrollieren.“

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Zur Person.

Jan Martin ist seit Oktober 2022 der Bereichsleiter Tiefbau bei der LIST Gruppe. Zuvor hat er im Tiefbau über neun Jahre praktische Erfahrungen gesammelt. Der gelernte Landschaftsarchitekt ist verantwortlich für die Leitung und den strategischen Aufbau des Fachbereiches. In enger Zusammenarbeit mit den Fachkolleg:innen innerhalb der Gruppe schaffen er und sein Team individuelle Lösungsmöglichkeiten in Schlüsselgewerken wie dem Regenwassermanagement, dem Erdbau, Kanalbau, Straßenbau und Landschaftsbau. Ihn treibt besonders die Frage an, wie der Tiefbau von morgen aussehen wird, da sich auch diese Fachdisziplin den Kriterien nachhaltiger Lösungen und Arbeitsweisen stellen muss.

Nachhaltige Stadtplanung am Beispiel „Schwammstadt“.

„Mein Herz schlägt als eingetragener Landschaftsarchitekt auch für die Gestaltung der Verkehrs- und Vegetationsflächen. Vielleicht ein Aspekt, der nicht unbedingt mit dem Tiefbau verbunden wird. Aber ein wichtiger. Mit der richtigen Bepflanzung und Nutzung dieser Flächen kann man viel erreichen“, meint unser Leiter Tiefbau Jan Martin und ergänzt: „Durch die richtige Freiraumgestaltung können Städte im Sommer kühl bleiben, mehr Wasser speichern und Regenwasser wirklich nutzen. Alles ist nachhaltiger als nur Schotter und Rasen.“

Eine Schwammstadt ist beispielsweise eine Stadt, die darauf abzielt, Wasser in natürlicher Weise zu absorbieren, zu speichern, zu reinigen und zurückzuhalten. Das Konzept basiertauf der Schaffung von Grünflächen, Rückhaltebecken, Gräben und anderen Infrastrukturen, die Regenwasser aufnehmen und kontrolliert abgeben können. Die Schaffung von Verdunstungszonen, die Integration von Schattenstrukturen und die Entscheidung darüber, ob wir zum Beispiel mähen wollen, sind allesamt Schlüsselelemente. Mit ihnen können wir das Wassermanagement in einer Schwammstadt optimieren und eine harmonische Verbindung zwischen Funktionalität und Biodiversität schaffen. Durch die lebendigen und ökologisch ausgewogenen städtischen Landschaften können wir das Potenzial von Schwammstädten nutzen und eine nachhaltigere Zukunft für unsere Städte bieten.

Bei der Gestaltung einer Schwammstadt ist es wichtig, Funktionalität und Biodiversität in Einklang zu bringen. Es geht darum, einen Kompromiss zwischen der effektiven Ableitungvon Wasser und der Schaffung von naturnahen Lebensräumen zu finden. Die Wahl von grünen Rasenflächen oder Stauden, von Verdunstungszonen oder von Schattenstrukturen sollte unter Berücksichtigung sowohl der funktionalen als auch der ökologischen Aspekte getroffen werden. Jan Martin verdeutlicht: „Die Schwammstadt ist ein innovativer Ansatz, das Wasser im Tiefbau intelligent zu managen und eine zukunftsfähige und widerstandsfähige städtische Umgebung zu schaffen. Ein Konzept, das wir gerne in die Tat umsetzen wollen.“