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Lebenszyklus-Betrachtung. Warum nicht nur der Betrieb zählt.

Der Kern des Lebenszyklus einer Immobilie ist die Betriebsphase, die lange alleine im Fokus stand. Aber auch die weiteren Lebenszyklusphasen bieten enormes Optimierungspotenzial – vor allem in Punkto Nachhaltigkeit. Deshalb gilt es den Blick zu weiten.

Geht es um das Thema Nachhaltigkeit wird bislang häufig der klimaneutrale Betrieb als Ziel formuliert. Dabei haben wir den ersten großen Hebel als Branche bereits relativ erfolgreich umgelegt und gute Lösungen geschaffen. Die CO2-Neutralität ist in diesem Bereich damit in greifbare Nähe gerückt. Nun aber ist es an der Zeit, den nächsten Schritt zu gehen und das klimaneutrale Gebäude zum Ziel zu erklären.

Es geht nicht mehr nur um klimaneutralen Betrieb, sondern um klimaneutrale Gebäude.

Für die Planung eines ganzheitlich nachhaltigen Gebäudes müssen wir somit den Fokus weiten. Zum Lebenszyklus einer Immobilie gehören die folgenden Phasen: die Gewinnung und Herstellung von Rohstoffen, der Materialtransport, der Bau, die Betriebsphase und der Rückbau mit Entsorgung oder Recycling. Die GEG-relevante Betriebsphase ist „nur“ ein Bestandteil dessen. Eine umfassende Betrachtung kann also nur stattfinden, wenn wir uns mit dem gesamten Lebenszyklus auseinandersetzen, und zwar in Form einer Ökobilanz.

Der Immobilien-Lebenszyklus im Überblick:

Die Ökobilanz kann verschiedene Faktoren für den gesamten Lebenszyklus bilanzieren.

Die Lebenszyklusbetrachtung kann mithilfe einer Ökobilanzierung duchgeführt werden. Dabei gibt es verschiedene Faktoren, die bilanziert werden können. Am verbreitesten ist die CO2-Bilanz, sie wird am häufigsten für Bewertungen und Optimierungen herangezogen. Der Indikator mit der zweithöchsten „Prominenz“ ist die Primärenergie (kurz PR). Dieser betrachtet und bewertet, wie hoch der Verbrauch fossiler und erneuerbarer Energieträger für die Immobilie ist. Darüber hinaus gibt es noch sechs weitere Indikatoren: das Ozonbildungspotenzial (kurz POCP), das Versauerungspotenzial (kurz AP), das Überdüngungspotenzial (kurz EP), das Ozonschichtabbaupotenzial (kurz ODP), das abiotische elementare Ressourcenabbaupotenzial (kurz ADPelements) und der Wasserverbrauch (kurz FW).

Das Ziel ist die ganzheitliche Reduzierung von Umweltwirkungen.

Bislang wird die Ökobilanz nur selten als echtes Planungsinstrument eingesetzt. Häufig wurde „per Hand“ für die Nachhaltigkeitszertifizierung einmal eine Bilanz gezogen, um die Punktebewertung durchzuführen. Die hohe Komplexität, die fehlende Praxis in der BIM-Modellierung, der Mangel an passender Software oder auch ein fehlendes Interesse an echter Nachhaltigkeit – die Gründe sind vielfältig. Die Methode kann aber viel mehr und das sollte man aus zwei Gründen nutzen. Da wäre zum einen die beschriebene Verschiebung mit Blick auf die Emissions-Treiber. Zum anderen hat BIM uns in die Lage versetzt, einen automatisierten und standardisierten Prozess zur Bilanzierung zu installieren. Damit ist die Ökobilanz nun per Knopfdruck möglich und wir sind dem großen Ziel, die ganzheitliche Reduzierung von Umweltwirkungen, einen großen Schritt näher gekommen.

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Expertentipp:

Simulation für den Betrieb

„Ich möchte eines betonen: Bei der Etablierung der Ökobilanz geht es nicht darum, die bislang im Fokus stehende Betriebsphase auszustechen oder gar für unwichtig zu erklären. Ganz im Gegenteil: Wir betrachten nun auch weitere wichtige Phasen des Lebenszyklus und versuchen zeitgleich weiterhin den Betrieb von Immobilien zu optimieren.

Dabei sind in unserer Unternehmensgruppe die Planer und Architekten die Spezialisten. Und einen Ansatz von Bernd Bostelmann und seinem Team von LIST Ing finde ich besonders spannend. Die Kolleg:innen dimensionieren die Anlagen nicht mehr immer klassisch auf Basis von DIN-Normen und VDI-Richtlinien. Denn diese geben Richtwerte vor, die auf Worst Case-Szenarien basieren und so zeitgleich nicht in Kraft treten werden.

Und so kommt es dazu, dass die Dimensionierung der Heizung wirklich 365 Tage im Jahr an einem bestimmten Ort mit einer Außentemperatur von minus zwölf Grad rechnet. Deshalb kommt eine Energiesimulation zum Einsatz. Dabei wird der tatsächlich Energiebedarf eines Gebäudes für jede Stunde im Jahr und an dem projektspezifischen Standort anhand von echten Wetterdaten simuliert. So findet eine bedarfsgerechte Dimensionierung der Anlagen statt. Das schont zum einen natürlich den Geldbeutel. Spart aber zum anderen sowohl auf Betriebs- als auch Materialebene enorm viel (graue) Energie.“

Sebastian Theißen,
Leiter für Nachhaltiges Bauen bei der LIST Gruppe