Quelle: EXCLUSIVE Astrophysiker Prof. Dr. Harald Lesch

Energie verstehen. Ein Gastbeitrag von Harald Lesch.

Fossile, Jahrmillionen alte Energien in Form von Kohle, Öl und Gas haben uns zwar gewärmt und bewegt, aber eben auch die Luft so verändert, dass die Erde heute ständig wärmer wird. Unsere Antwort darauf kann nur sein: Raus aus allem, was Kohlenstoff in die Atmosphäre treibt. Aber werden Sonne und Wind unsere Stromproduzenten der Zukunft sein, oder gibt es Alternativen?

Die Energiewende hin zu erneuerbaren Energien und ihr positiver Einfluss auf den Klimaschutz sind Schlüsselmomente für die zukünftigen Generationen. Dabei haben wir keine Zeit zu verlieren: Heute müssen die richtigen richtungsweisenden Entscheidungen getroffen werden. Aber damit da auch alle mitgehen können, müssen wir alle wissen, wovon die Rede bei dieser Veränderung ist. Ohne falsche Versprechen zu machen, mit Klarheit und physikalischen Argumenten analysieren meine Kollegen Christian Holler, Joachim Gaukel und Florian Lesch und ich daher in unserem neuen Buch „Erneuerbare Energien zum Verstehen und Mitreden“, was erneuerbare Energien können und was nicht.

In Deutschland haben wir pro Person und Tag einen Energieverbrauch von etwa 100 bis 120 Kilowattstunden. Um ein Gefühl für diese Größenordnung zu bekommen: Wer sportlich ist und auf seinem Fahrrad zehn Stunden lang ordentlich in die Pedale tritt, kann damit eine Kilowattstunde Energie produzieren. In Form von Strom kostet diese ungefähr 30 Cent. Genauso viel Energie steckt in 100 Millilitern Benzin. Bei einem Literpreis von 1,50 Euro wären das 15 Cent pro Kilowattstunde.

Umgerechnet auf das Fahrradbeispiel bedeutet das, dass wir pro Person und Tag so viel Energie verbrauchen, wie 120 Fahrradfahrer:innen in zehn Stunden erzeugen können. Von den 120 Kilowattstunden, die wir alle im Schnitt pro Tag verbrauchen, kommen im Durchschnitt 85 Prozent aus fossilen Brennstoffen (und etwas Kernenergie). 15 Prozent stammen aus erneuerbaren Energien. Photovoltaik und Wind machen sogar nur fünf Prozent aus – verblüffend, wenn man sich die aufgeregte öffentliche Diskussion darum ansieht. Wir haben mit der Energiewende noch nicht einmal richtig angefangen.

Übrigens: Nur grob ein Drittel der Primärenergie wird für die Stromproduktion eingesetzt, den Rest verbrauchen wir direkt, vor allem durch Verbrennung in Heizungen und Fahrzeugen, und hier ist der Anteil der erneuerbaren Energien noch sehr klein. Das erklärt auch, warum der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromproduktion zuletzt circa 50 Prozent beigetragen hat, ihr Anteil am gesamten Primärenergiebedarf aber erst bei 15 Prozent liegt. Hören Sie also genau hin: Spricht jemand von „Energieproduktion“ oder von „Stromproduktion“? Das ist ein gewaltiger Unterschied.

Vielleicht schon bald der neueste Trend: Energiediät.

Der Primärenergieverbrauch ist die gesamte Energiemenge aller Energieträger und -quellen, die wir benötigen, um unser Land in Gang zu halten. Unser Primärenergieverbrauch beträgt in Deutschland 120 Kilowattstunden pro Tag und Person. Vor allem in Kraftwerken geht bei der Umwandlung etwa von Kohle zu Strom viel Energie verloren (über 50 Prozent verpuffen als Wärme), und bei der Übertragung von Strom zu uns nach Hause sind es wiederum fünf Prozent. Aber auch bei der Raffinierung von Benzin aus Rohöl verlieren wir circa zehn Prozent. All diese Verluste sind schon abgezogen, wenn die Energie beim Endverbraucher ankommt, und das macht die Differenz zwischen Primär- und Endenergie aus. Der Endenergieverbrauch beträgt in Deutschland 85 Kilowattstunden pro Tag und Person. Das ist der Strom, der bei uns zu Hause oder in der Industrie ankommt. Und auch das Benzin, mit dem wir an der Tankstelle unser Auto betanken, oder die Wärme, mit der wir heizen.

Woher kommt die Energie, die wir für unser durch und durch technisiertes und komfortables Leben benötigen? Wird es uns gelingen, mit erneuerbaren Energien unseren großen Energiebedarf zu stillen? Diese Fragen werden uns in den nächsten Jahrzehnten intensiv beschäftigen und ich habe sie zusammen mit meinen Kollegen in dem Buch „Erneuerbare Energien zum Verstehen und Mitreden“ analysiert. Damit der Umbau der Energieversorgung gelingen kann, müssen wir verstehen, worum es geht, und mitreden bei den Entscheidungen, die uns alle angehen.

Unser Energiehunger hat fast unstillbare Ausmaße angenommen, es wird alles andere als einfach, diesen Appetit ohne fossile Brennstoffe zu decken, vor allem, weil die Weltbevölkerung noch weiterwachsen wird und viele Länder Nachholbedarf haben. Wir haben immer noch nicht begriffen, dass wir eigentlich viel zu viel Energie verbrauchen.

In unserem Buch zeigen wir, dass die erneuerbaren Energien nicht unerschöpflich sind, dass es dafür Grenzen gibt und dass wir die allergrößte Energiequelle, nämlich das Energiesparen, in der öffentlichen Debatte überhaupt nicht angemessen wiederfinden. Das Ergebnis unserer Abschätzungen ist: Wir können 89 Kilowattstunden pro Person und Tag aus erneuerbaren Energien erzeugen (so viel wie 89 Fahrradfahrer:innen in zehn Stunden). Und auch dafür sind schon große Flächen, vor allem für Biomasse, notwendig.

Es gibt keine weiteren, noch unentdeckten Energiequellen oder fantastischen technischen Erfindungen, die unsere Probleme auf einen Schlag lösen werden. Es wird sicherlich effizientere und günstigere Technologien geben, um die vorhandenen Quellen auszuschöpfen, aber die Energiedichte von Wind, Sonne, Wellen etc. wird sich dadurch nicht magischerweise erhöhen.

Die Konkurrenz ist groß.

Die mit Abstand größten Beiträge von Seiten der erneuerbaren Energien werden Wind und Sonne liefern. Flankiert werden sie je nach geografischer Lage von Wasserkraft, Biomasse und Geothermie. Die anderen Quellen werden zwar lokal, aber nicht weltweit einen relevanten Beitrag leisten können. Das gilt insbesondere für Deutschland, wo außer Wind- und Sonnenkraft wenig andere Alternativen bleiben.

Wir brauchen enorm große Flächen für Windkraftwerke, Photovoltaik-Anlagen und womöglich für Biomasse. Ein Windrad hier und da oder ab und zu eine Photovoltaik-Anlage auf einem Dach wird keinesfalls ausreichen. Biomasse und Nahrungsmittelproduktion werden weiterhin in Konkurrenz stehen. Da Wind und Sonne nicht permanent Energie liefern, werden wir uns Gedanken darüber machen müssen, wie man diese Schwankungen ausgleichen kann. Mit zunehmendem Ausbau der erneuerbaren Energien werden leistungsfähige Speicher und Speichertechnologien in Zukunft immer wichtiger. Und der Verbrauch wird sich mehr an die Produktion anpassen.

Der Endenergieverbrauch hat sich in Deutschland in den letzten 30 Jahren nicht bewegt. Für die kommenden 30 Jahre wird aber laut vieler Studien ein stark reduzierter Energieverbrauch vorausgesetzt, um Klimaneutralität zu erreichen. Wesentlich ist dabei die Elektrifizierung der Mobilität und der Heizung, weil für denselben Nutzen viel weniger Energie notwendig ist. Realistisch ist diese Reduktion aber vermutlich nur dann, wenn wir auch an anderen Stellen durch Verzicht weniger Energie verbrauchen. Wir werden uns anpassen und überall weniger Energie verbrauchen müssen, und das werden wir merken: weniger Flüge, mehr Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, weniger energieintensive Produkte, eine andere Ernährung und anderes mehr.

Mitdenken. Mitreden. Mitentscheiden.

Wenn man sich das alles klarmacht, könnte man auch verzagen. Aber das müssen wir nicht. Es wird allerdings keinen einfachen Weg geben. Wie können wir also trotz aller Schwierigkeiten weltweit die Energiewende auf eine umwelt- und sozialverträgliche Art und Weise erreichen? Drei Gesichtspunkte sind dabei unserer Meinung nach von zentraler Bedeutung: Den Energieverbrauch reduzieren und Verbrauchstechnologien elektrifizieren. Die notwendigen Infrastrukturen für die Energiewende ausbauen. Und international zusammenarbeiten.

Wir alle sind gefordert! Wir müssen die Ausbaumaßnahmen akzeptieren, unseren Beitrag zum Energiesparen leisten und vor allem kollektiv Verantwortung für die zukünftigen Generationen übernehmen. Technologische Umwälzungen gab es öfter in der Geschichte der Menschheit, aber noch nie hat die nächste Generation deutlich weniger Energie verbraucht als die vorherige, außer nach schweren Katastrophen. Wir stehen also vor einer großen Herausforderung. Wir sollten auf nationaler Ebene mit schnellen Schritten vorangehen, in möglichst enger Koordination mit unseren europäischen Partnern, auf die wir aber notfalls nicht warten dürfen. Der europäische „Green Deal“ braucht einen erheblichen Erfolg – und der ist mit einer Energiewende durchaus wahrscheinlich. Voraussetzung und der erste Schritt zu einer erfolgreichen Energiewende ist die grundlegende Einsicht aller Akteure, wenn es um das Thema Energie geht. Es ist wichtig zu wissen, welche Rolle Energie spielt und wie stark unser Lebensstandard von Energie abhängt. Und wir sollten die Zahlen kennen: Wie viel Energie benötigen wir und woher soll diese Energie in Zukunft kommen?

Quelle: EXCLUSIVE Astrophysiker Prof. Dr. Harald Lesch

Über den Autor.

Harald Lesch ist Professor für Theoretische Astrophysik am Institut für Astronomie und Astrophysik der Ludwig-Maximilians-Universität München und gehört zu den bekanntesten Naturwissenschaftler:innen in Deutschland. Seit vielen Jahren vermittelt er einer breiten Öffentlichkeit spannendes populärwissenschaftliches Wissen. Durch die Sendereihe „alpha-Centauri“ bekannt geworden, moderiert er heute unter anderem „Leschs Kosmos“ im ZDF. Er hat, allein oder mit Co-Autoren, eine Vielzahl erfolgreicher Bücher veröffentlicht, zuletzt „Was hat das Universum mit mir zu tun?“, „Wenn nicht jetzt, wann dann?“ sowie „Denkt mit!“. Und gemeinsam mit Christian Holler, Joachim Gaukel und Florian Lesch hat er das Buch „Erneuerbare Energien zum Verstehen und Mitreden“ veröffentlicht.

Ein einfallsreich bebilderter Kompass für die Welt der erneuerbaren Energien.

Fossile Energieträger wie Kohle und Öl sind „out“: Ihre Nutzung verschärft den Klimawandel, und wir müssen sie so schnell wie möglich ersetzen. Nur, was sind gute Alternativen? Und reichen andere Energiequellen aus, unseren Energiehunger in Zukunft zu stillen? Sind sie so verlässlich wie die alten Energielieferanten?

Der Umbau der Energieversorgung bedeutet eine radikale Wende. Damit sie gelingen kann, müssen wir verstehen, worum es geht, und mitreden bei den Entscheidungen, die uns alle angehen. In diesem durchgängig farbig illustrierten Buch untersuchen die Autoren gemeinsam mit Studierenden, die das Buch gestaltet haben, kurz, anschaulich und verständlich, was erneuerbare Energien aus Sonne, Wasser oder Erdwärme energietechnisch schaffen und wie sie sich im Vergleich untereinander bewerten lassen. Neben den einzelnen Energieformen geht es vor allem um ihre Verfügbarkeit und darum, wie viel sie leisten können. Denn über allem steht die Frage: Wird es gelingen, mit erneuerbaren Energien unseren großen Energiebedarf zu stillen? Das richtige Buch für alle, die mitdenken, mitreden und mitentscheiden wollen über die Energien der Zukunft.

Christian Holler, Joachim Gaukel,
Harald Lesch, Florian Lesch:
Erneuerbare Energien zum
Verstehen und Mitreden
C. Bertelsmann Verlag, 2021;
ISBN: 978-3-641-28496-1, 18 Euro