Quelle: LIST Gruppe

Circular Real Estate – Politik, Regulatorik und monetäre Bewertung.

Circular Real Estate ist ein komplexes Themenfeld. Um uns diesem anzunähern, nehmen wir unterschiedliche Perspektiven von verschiedenen Expert:innen auf. Deshalb haben wir Jürgen Utz und Annette von Hagel eingeladen. Sie bringen viel Wissen und Erfahrung auf diesem Gebiet mit und beantworten uns in diesem Beitrag fünf Fragen zur Politik, Regulatorik und monetären Bewertung zirkulärer Immobilien.

Kreislauf, C2C oder Urban Mining – was passt wirklich zur Immobilienbranche?

J. U.: „Ich denke, alle drei Ansätze oder Konzepte sind wichtig und richtig. Sie adressieren unterschiedliche Herausforderungen, die wir für Zirkularität brauchen: Material aus dem Bestand  (= Urban Mining), Transparenz im Neubau (= Kreislauf) und die dafür geeigneten Produkte (= C2C). Und sie drängen über verschiedene Wege in den Markt – über die Gesetzgebung, über die EU-Taxonomie sowie die damit verbundenen Anforderungen der Investoren und über die Hersteller selbst, die Ressourcensicherheit für sich neu denken. Letzten Endes geht es hier im Kern aber immer um dasselbe: Wir schaffen mehr Möglichkeiten für die bewusste Entscheidung pro Zirkularität, indem Informationen gesammelt und echte Produktalternativen geschaffen werden. Transparenz und Wissen sind also entscheidend und ermöglichen den wichtigen Akteuren im Markt – vom Investor über den Planer bis zum Hersteller –, passende Angebote in die Praxis zu bringen.“

A. v. H.: „Dem stimme ich zu, alles passt und sollte Anwendung finden. Vor allem der C2C-Gedanke – bei dem die Hersteller in die Pflicht genommen werden, auch nach dem Verkauf für die Wiederverwendung oder Wiederverwertung verantwortlich zu sein – nimmt dabei gerade ganz praktisch auch schon an Fahrt auf. Einige namhafte Hersteller wenden das C2C-Zertifikat bereits an, und dies nicht nur als Verkaufsargument, sondern weil sie ein großes Interesse an der Rücknahme ihrer eigenen hochwertigen Materialien haben. Die derzeitigen weltweiten Konflikte wie der Angriffskrieg auf die Ukraine zeigen deutlich, dass wir von zu vielen Einflussfaktoren abhängig sind und unsere Wirtschaft unter einem Materialmangel leidet.“

Sind offene Schnittstellen im Sinne von openBIM eine Mindestvoraussetzung für den Erfolg neuer Software-Lösungen?

A. v. H.: „BIM kann nur erfolgreich angewendet werden, wenn ein openBIM-Ansatz verfolgt wird. Die Schnittstellen-Offenheit hat sich in der Vergangenheit in der Softwareentwicklung bewährt und wird sich auch zukünftig durchsetzen. So können wir ein breites Entwicklungsspektrum zulassen. Falls wir in geschlossenen Softwaresystemen arbeiten, würden Einzellösungen entwickelt. Damit würden wir die Ziele einer übergreifenden Zusammenarbeit, einer verbesserten Kommunikation und branchenüblicher Austauschmethoden nicht erreichen. Für jede closedBIM-Lösung müssten eigene Lösungen entwickelt werden. Das Risiko, BIM in eine Sackgasse zu führen, wäre sehr groß.“

J. U.: „Wer heute Zirkularität als Teil des Entwurfs sieht, will dies natürlich mit modernen Werkzeugen realisieren. Die Erstellung von Varianten, deren einheitliche, verständliche und vor allem schnelle Bewertung und schlussendlich auch Dokumentation funktionieren eigentlich nur mit digitalen Gebäudemodellen. Daher werden openBIM und die Integration von Daten über offene Schnittstellen in zum Beispiel ESG-Reportingtools oder Gebäuderessourcenpässe sicher wichtige Erfolgsfaktoren sein. Und natürlich wird es hierfür Expert:innen geben, denn das technische Verständnis und Materialkenntnisse sind nicht zu unterschätzen. Aber rudimentäre Vorbewertungen in frühen Phasen mit einfachen Tools vornehmen zu können, könnte insgesamt zu einem Durchbruch verhelfen. Denn nur so kann das Thema wirklich branchenweit den Eingang in den Planungsalltag finden. Hier bietet sich noch viel Raum für neue Softwarelösungen.“

Der digitale Gebäuderessourcenpass ist Teil des Koalitionsvertrages. Noch ist er aber nicht klar definiert. Welche Aussagen über Gebäude sollte er enthalten?

J. U.: „Im Grunde ist das sehr einfach: Wir brauchen die Menge an Material möglichst detailliert sowie die Verbindungsart – und idealerweise noch Informationen zum Hersteller für eine Rückverfolgbarkeit. Was entscheidend sein dürfte, sind Informationen zu den Inhaltsstoffen und gegebenenfalls Behandlungen von Materialien/Bauteilen mit Anstrichen, Lackierungen, Grundierungen und Ähnlichem. Denn diese sind schlussendlich entscheidend für den weiteren Nutzungsweg. Zum Beispiel bei Holz ist die Kaskadennutzung von solchen Informationen abhängig. Daher ist der Begriff ‚Ressourcenpass‘ auch gut, weil eben nicht jedes Material per se auch eine Ressource ist. Dafür braucht es qualifizierte Informationen, womit auch die Relevanz von Produktzertifikaten an Bedeutung gewinnen wird.“

A. v. H.: „Die bereits vorhandenen Bewertungssysteme müssen meines Erachtens dafür bewertet und eventuell angepasst werden. Sie sollten als Basis für das Konzept des Gebäuderessourcenpasses dienen. Und wie Jürgen sagt, müssen wir die Informationsdichte noch deutlich erhöhen. Der Aufbau einer Datenbank zur Anbindung an die grafischen Daten wird nicht die Herausforderung sein. Vielmehr stehen wir vor der Hürde, dass die digitale Dokumentation intelligent aufbereitet, konstant über den Lebenszyklus verfügbar und aktuell vorgehalten werden muss. Professionelle Investoren werden oder haben bereits die Vorteile einer durchgängigen Dokumentation für schnelle und weitgreifende Entscheidungen erkannt – sie waren bereits vor 30 Jahren bei der Einführung von CAD die Vorreiter. Die öffentliche Hand hat ebenfalls die Mittel und Möglichkeiten, handelt allerdings deutlich zögerlicher. Und das Nachsehen werden, befürchte ich, die privaten Eigentümer:innen eines oder weniger Gebäude haben. Denn der Anspruch und die Komplexität sind für sie nicht händelbar.“

Das nächste Schutzziel der EU-Taxonomie wird aktuell konkretisiert: die Zirkularität. Was wird drinstehen und wird das dann überhaupt Anwendung finden?

J. U.: „Nimmt man den aktuellen Entwurf der Technical Expert Group, so sind die Anforderungen erstmal sehr motivierend. Für viele erscheint es ambitioniert, was da steht: 15 Prozent wiederverwendete Bauteile zum Beispiel. Woher man die in der Praxis bekommt, ist aktuell unklar. Es steht also zu befürchten, dass wir zum Start wenig Projekte sehen, die Zirkularität als Schutzziel haben. Entsprechend werden dann wohl als notwendige Reaktion die Anforderungen hierfür unter der Do-No-Significant-Harm-(DNSH-)Regelung nachjustiert, um die EU-Ziele zu erreichen. Sobald die Immobilienbewertung die Rohstoffe im Gebäude standardmäßig mit abbildet, es also harte finanzielle Unterschiede zwischen Gebäuden aufgrund der Zirkularität gibt, wird sich aber auch dieses Schutzziel zunehmender Beliebtheit erfreuen. Und das zeigt wiederum, wo wir in der Branche bei dem Thema wirklich stehen – am Anfang. Es gibt viel aufzuholen und mit Blick auf die Lebensdauer von Immobilien kann es eigentlich nicht schnell genug gehen. Dafür sind auch die Folgen unseres Bedarfs an Primärrohstoffen einfach zu gravierend.“

A. v. H.: „Wenn man bedenkt, dass eine große Menge der Treibhausgasemissionen sowie des Biodiversitätsverlustes und des Wasserstresses nachweislich auf die Gewinnung und die Verarbeitung von Ressourcen zurückzuführen sind, wird klar: Die Zirkularität ist sicher eine der wesentlichen Schlüsselanforderungen der Klimawende. Zumal aktuell nur sehr wenige Werkstoffe aus Recycling stammen. Wenn wir unser Verhalten nicht radikal  ändern, führt dies zwangsläufig auch zu einem erheblichen volks-wirtschaftlichen Schaden, der nach Berechnung einer Swiss-Re-Studie von April 2021 die größte Gefahr für die Weltwirtschaft darstellt. Die Taxonomie sollten wir als Hilfsmittel zur Bewältigung dieser riesigen Herausforderung verstehen. Das Schutzziel ‚Zirkularität‘ ist jetzt zwar noch nicht ausformuliert, wird es bald aber schon sein und vermutlich schon kurze Zeit später wieder weiterentwickelt. Die Taxonomie ist kein statisches, sondern ein dynamisches Konzept, die Anforderungen werden auf Grundlage stetig neuer Erkenntnisse und Erfahrungen weiterentwickelt.“

Artikel-9-Fonds sind aktuell die Lieblinge im Finanzbetrieb. Sind entsprechend konforme Immobilien wirklich die wirtschaftlichste Lösung oder sollte man die Anforderungen sogar noch deutlich übertreffen?

A. v. H.: „Ich würde das so formulieren: Sie sind ein erster Schritt in die richtige Richtung. Dadurch, dass man aktuell für die Taxonomie-Konformität nur ein Schutzziel in den Fokus stellen muss, sehe ich Artikel-9-Fonds momentan noch als eine Art Deal, der auch Schlupflöcher zulässt. Es besteht schon das Risiko, dass die Schutzziele beliebig werden und an Glaubwürdigkeit verlieren. Deshalb sehe ich Artikel-9-Fonds sogar durchaus auch kritisch – aber das ist natürlich nur eine Momentaufnahme. Wir korrigieren im laufenden Betrieb, da können wir nicht sofort die perfekte Lösung erwarten, sondern müssen immer wieder nachschärfen.“

J. U.: „Die Diskussion um Artikel-9-Fonds nimmt ja gerade erst Fahrt auf und wird sich auch daran entscheiden, wie die Anforderungen für Artikel 8 nachgeschärft werden. Unabhängig davon kann man sich fragen: Welche Probleme sollen denn mit der EU-Taxonomie gelöst werden? Diese stehen in den Schutzzielen, die regelmäßig bis 2050 im Hinblick auf Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft überprüft werden. Bei Investitionsgütern mit einer Lebensdauer von mehr als 30 Jahren wäre es also sinnvoll zu überlegen, wie sie heute gebaut werden müssen, damit sie 2050 auch noch die dann geltenden Anforderungen erfüllen. Die Taxonomie setzt ja eher Mindeststandards. Eine Übererfüllung ist aber nicht verboten und macht an vielen Stellen sicher schon heute Sinn.“

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Zu den Personen.

Annette von Hagel,
geschäftsführende Gesellschafterin von Circular Building UG (circular-eu.com) und geschäftsführende Vorständin von re!source gemeinnützige Stiftung e. V.
(re-source.com)

Jürgen Utz,
Leiter Nachhaltigkeit bei der LIST AG.