Visualisierung der Ausbildungswerkstatt der Emschergenossenschaft in Dinslaken | Quelle: LIST Gruppe

Ausbildung muss sein. Zukunftssicherung für den Verband und die Region.

Es gibt hierzulande immer weniger Auszubildende. Dennoch ergreifen nur wenige Unternehmen und Organisationen wirklich Initiative. Das Thema scheint auf der Prioritätenliste nicht weit genug oben zu stehen. Natürlich gibt es aber auch Ausnahmen. So lohnt sich zum Beispiel der Blick in Richtung Wasserwirtschaftsverbände.

Deutschland ist für sein duales System in der beruflichen Bildung hoch angesehen. Während andere Länder einige Ausbildungsberufe bereits komplett verschult haben, wird hierzulande praxisnah in Betrieben qualifiziert. Aber unser Ausbildungssystem steht vor einer großen Herausforderung: Nie wurden so wenig Lehrstellen besetzt wie zurzeit. Die Ursachen sind vielfältig. Unter anderem der demographische Wandel und die Corona-Pandemie sorgen dafür, dass sowohl die Zahl der Auszubildenden als auch die der ausbildenden Betriebe immer geringer werden. Aber ebenso die Tatsache, dass für immer mehr junge Menschen ausschließlich ein Studium infrage kommt, verstärkt das Problem.

Im Ruhrpott kommt noch hinzu, dass die Zeit der rauchenden Schlote vorbei ist und Strukturwandel neben all den anderen Herausforderungen zusätzlich ganz oben mit auf der Agenda steht. Und genau hier haben Emschergenossenschaft (EG) und Lippeverband (LV) – kurz EGLV –, die gemeinsam den größten Wasserwirtschaftsverband Deutschlands bilden, im Jahr 2019 in Bottrop ein neues Ausbildungszentrum eröffnet. Ein weiteres in Lünen steht kurz vor der Fertigstellung, ein drittes in Dinslaken befindet sich aktuell in der Planung. Die Zahl der Auszubildenden ist schon jetzt von 40 im Jahr 2016 auf 100 angestiegen. Ausgebildet wird über den eigenen Bedarf hinaus – „aus Verantwortung für die Region“, sagt Prof. Dr. Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender von Emschergenossenschaft und Lippeverband. Um das zu verstehen, müssen wir mehr als ein Jahrhundert zurückblicken.

Eben kein klassisches Wirtschaftsunternehmen.

Ende des 19. Jahrhunderts blühten Bergbau und Industrie in der Region rund um den Fluss Emscher auf. Zudem wurden die Flächen zunehmend besiedelt. In Summe führte das zu einem Entwässerungsnotstand und infolgedessen auch zur Ausbreitung von Krankheiten. Deshalb wurde im Dezember 1899 per Gesetz eine übergreifend handelnde Instanz geschaffen: die Emschergenossenschaft. Mitglieder waren und sind bis heute der Bergbau, die Industrie und die Kommunen. Ein Modell, das weiteren Regionen in Nordrhein-Westfalen als Vorbild diente. Heute gibt es in dem westlichen Bundesland elf Wasserwirtschaftsverbände, darunter auch der Lippeverband. Jeder Wasserwirtschaftsverband ist für ein Flussgebiet zuständig und agiert als Non-Profit-Organisation. Das ist Grundlage für ein besonderes Selbstverständnis, wie Prof. Dr. Uli Paetzel erklärt: „Wir haben eine gesellschaftliche Verantwortung für die gesamte Region. Mit Stadtentwicklungs-, Ökologie- und Bildungsprojekten schaffen wir zusammen mit unserem Kerngeschäft einen Mehrwert, Lebensqualität für die Menschen und sorgen für eine nachhaltige regionale Entwicklung.“

2016 startete EGLV deshalb einen als „HORIZONT 2030“ bezeichneten Prozess, der in den Beschluss von Teilstrategien mündete. Diese stellen eine Unternehmensstrategie dar, die durch die Leitplanken Nachhaltigkeit und Partizipation geprägt ist. „Der Bau und das Betreiben der Ausbildungszentren ist eine der Maßnahmen, die aus dem Prozess hervorgegangen sind“, gibt Prof. Dr. Uli Paetzel einen Einblick. „Wir haben in unseren eigenen Reihen eine Analyse durchgeführt und dabei errechnet, dass rund ein Drittel unseres Personals im Laufe der nächsten zehn Jahre in Rente gehen wird. Diese Stellen neu zu besetzen ist in Zeiten des Fachkräftemangels eine enorme Herausforderung. Hinzu kam, dass die RAG als großer Ausbilder in der Region weggefallen ist. Der Gap zwischen Aus- und Eintritten wird leider wachsen. Für uns steht außer Frage, dass wir jetzt gefragt sind – für uns und auch für die Region.“

Ausbildung Plus.

Ausgebildet wird bei EGLV in insgesamt 14 Berufen, sechs davon aus dem gewerblich-technischen Bereich werden unter den Dächern der drei neuen Ausbildungszentren vereint. Zudem stehen den jungen Erwachsenen vier duale Studiengänge zur Auswahl. Die Gebäude sind dabei geprägt durch flexible Zuschnitte, multifunktionale Räume und eine hochwertige Ausstattung. „Wenn wir hier investieren, dann richtig. Die Entscheidung wurde schnell und einvernehmlich getroffen“, so Prof. Dr. Uli Paetzel. „Zum einen ist das eine Frage der Wertschätzung gegenüber den Auszubildenden, zum anderen sind wir und auch die Wirtschaft darauf angewiesen, dass wir den jungen Menschen die richtigen Rahmenbedingungen dafür bieten, sich zu echten Profis zu entwickeln.“

Und zur Professionalität zählten nicht nur die fachlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Ebenso habe der Wasserwirtschaftsverband zum Beispiel die Verantwortung dafür, Demokratie-Verständnis zu vermitteln. Dies geschehe über spezielle Kurse und Azubi-Projekte. Oder auch im Rahmen der betrieblichen Mitbestimmung, die großgeschrieben und zum Beispiel in Form einer Jugend- und Auszubildendenvertretung gelebt wird. Zudem werden bestimmte Gruppen besonders gefördert. So werden beispielsweise zugewanderte oder als „noch nicht ausbildungsfähig“ eingestufte Jugendliche bei ihrem Einstieg in die Arbeitswelt zusätzlich unterstützt.

Das Lehrpersonal stammt aus den eigenen Reihen von EGLV. „Wir haben unsere Meisterinnen und Meister gefragt, ob sie Interesse an einem Perspektivwechsel haben, und die Resonanz war sehr positiv. Die zusätzliche pädagogische Ausbildung in der Tasche, stellen diese heute unser Lehrkräfte-Team dar“, zeigt sich Prof. Dr. Uli Paetzel begeistert. „Wir haben insgesamt 59 Kläranlagen und eine Reihe von Bauhöfen. Da gibt es viel spezielles Anlagenwissen, das wir sichern wollen und müssen. Indem nun die Praktikerinnen und Praktiker aus unseren eigenen Reihen unterrichten, können wir genau darauf einzahlen.“

Ebenso sei es von enormer Bedeutung, dass die Auszubildenden auch zu den Anlagen „rauskommen“. Vor Ort bekomme man einfach mehr vom echten Arbeitsleben mit – wann zum Beispiel welche Pumpe „muckt“ und wie man am besten darauf reagiert. „Im Gebäude haben wir darauf mit sogenannten Schwarz-Weiß-Kabinen reagiert. So können die Jugendlichen draußen mit anpacken und anschließend in einem sauberen Gebäude sich dem theoretischen Teil widmen“, führt Prof. Dr. Uli Paetzel aus und ergänzt abschließend: „Der Fachkräftemangel wird mit großer Wucht zuschlagen und wir sind alle gut beraten, jetzt in eine gute Ausbildung zu investieren und dem Trend entgegenzuwirken.“


intecplan verantwortet BIM-Generalplanung der Ausbildungswerkstatt in Dinslaken.

Im Dezember 2020 ist intecplan mit der Generalplanung für die Ausbildungswerkstatt in Dinslaken gestartet. Mittlerweile ist Leistungsphase 4 abgeschlossen, der Bauantrag eingereicht und mit der Leistungsphase 5 begonnen worden. Errichtet wird die neue Ausbildungswerkstatt in einem teilweise stillgelegten Bereich der Kläranlage Emscher-Mündung in Dinslaken. Nach Analyse verschiedener Standorte auf dem Gelände haben sich die Projektbeteiligten für die Position auf den ehemaligen Voreindickerbecken entschieden. Zum einen um das Gebäude möglichst frei und flexibel planen zu können, zum anderen um die vorhandenen Becken als Kulturgut zu erhalten. Das Gebäude wird optisch zukünftig über den kreisrunden Becken schweben.

In intensiven Abstimmungen mit der Emschergenossenschaft wurde die Ausbildungswerkstatt von innen nach außen geplant. Das ursprünglich zweigeschossig gewünschte Gebäude wurde im Laufe der Planung in einem Geschoss zusammengefasst, um kurze Wege und zusammenhängende Funktionen zu ermöglichen. Durch die eingeschossige Planung kann zudem eine einfache Tragwerkkonstruktion generiert werden, die im Bereich des Ausbaus zu einer hohen Flexibilität führt.

Bei der Fassadenkonstruktion soll es sich um eine Holzmodulbauweise handeln, mit einer Verkleidung aus Holz und Eternit. Vorteil der Variante ist die Wiederverwertbarkeit. Elemente können einzeln abmontiert und getrennt werden. Dies ist besonders umweltfreundlich und macht zudem einen späteren Verbau in anderen Gebäuden möglich. 

Die Planungen erfolgen vollständig mit der BIM-Methode. Baustart ist für das zweite Quartal 2022 geplant. Vorgesehen sind eine Einzelvergabe der Gewerke sowie der Einsatz nachhaltiger Baustoffe.

Projektdaten.

Auftraggeber Emschergenossenschaft
Generalplaner intecplan
BGF 1.150 qm
Geplaner Baubeginn 2. Quartal 2022
Geplante Fertigstellung 3. Quartal 2023
Weitere Besonderheiten BIM-Generalplanung
  Holzmodulbauweise
  Barrierefreiheit
  Sondergründung
  schwebende Anmutung
  über ehemaligem Voreindickerbecken
Visualisierung der Ausbildungswerkstatt der Emschergenossenschaft in Dinslaken | Quelle: LIST Gruppe

Über Prof. Dr. Uli Paetzel.

Prof. Dr. Uli Paetzel ist studierter sowie promovierter Soziologe, 50 Jahre alt und seit 2016 Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft und des Lippeverbandes. Zuvor war er zwölf Jahre Bürgermeister der Stadt Herten.

In seiner Arbeit als Vorstandsvorsitzender bringt er den Emscher-Umbau auf die Zielgerade und hat die naturnahe Entwicklung der Lippe als nächstes großes Projekt ganz oben auf der Agenda. Dabei setzt er auf den kontinuierlichen Austausch mit seinen Kolleginnen und Kollegen, den Mitgliedern und mit der Öffentlichkeit. Ehrenamtlich engagiert er sich unter anderem als Präsident der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA) sowie als Mitglied oder Vorsitzender in verschiedenen Stiftungen in der Region.