Quelle: a|w|sobott, André Sobott

"Wir haben verlernt, wie Stadt geht." Ein Spaziergang für die Städtebaukunst.

Wann ist ein Gebäude Teil einer Stadt und wann ein Fremdkörper? Wir sind mit Christoph Mäckler und Birgit Roth vom Deutschen Institut für Städtebaukunst unterwegs in Frankfurt Bornheim und schauen uns ein Viertel mit anderen Augen an.

Christoph Mäckler und Birgit Roth, Direktor und wissenschaftliche Leiterin des Instituts, kommen aus dem Inneren des Cafés auf uns zu und begrüßen uns freundlich. „Dann wollen wir mal sehen, ob wir Sie nicht für unsere Idee von städtebaulicher Schönheit gewinnen können“, schmunzelt Birgit Roth und gibt uns ein Zeichen dafür, dass es direkt losgeht.  

Schönheit muss sein

Keine drei Schritte gegangen, macht Christoph Mäckler die erste Entdeckung: „Schauen Sie sich diese beiden Fassaden an – sie grenzen direkt aneinander und könnten unterschiedlicher nicht sein. Das Gebäude, in dem sich unten das Café befindet, hat eine offene, gegliederte Fassade, die eine Verbindung zwischen innen und außen herstellt. Das Nachbargebäude zeigt uns hingegen nur seine kalte Schulter. Das spürt jeder von uns.“

Birgit Roth stimmt sofort mit ein: „Zu unserer Rechten sehen wir eine Gebäudefassade, die einlädt, eine Möglichkeit zum Sitzen bietet und dadurch einen gemütlichen Platz vor sich formt, ohne den das Café vermutlich nicht leben könnte. Links hingegen passiert gar nichts. Zugeklebte Fenster und eine hässliche, eintönige Fassade. Das hat mit Stadtbildung nichts zu tun.“ Und ja, wir nicken. Auch wenn wir den Blick für dieses Bild vermutlich nicht gehabt hätten, können wir die Gedanken auf Anhieb nachempfinden.
 

Wir gehen weiter und unterhalten uns im Laufen. „Fangen wir vorne an“, holt Christoph Mäckler aus. „Jede Demokratie hat eine Ordnung und Gesetze. Und auch in unserem Grundgesetz steht, dass Eigentum verpflichtet und sein Gebrauch dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll. Und das gilt in meinen Augen auch in städtebaulicher Hinsicht. Die Stadt ist ein Raum und die Gebäudefassaden bilden die Wände. Da steht es einem Investor einfach nicht zu, die Immobilie nur für sich zu betrachten.“ Leider haben wir dieses Verantwortungsbewusstsein in den letzten Jahrzehnten verlernt, ergänzt Birgit Roth: „Oder wie erklären Sie sich folgendes Phänomen: Während wir in Städten wie Paris oder Barcelona den Puls der Stadt genießen, spüren wir diesen in deutschen Städten viel zu selten. Und das muss nicht sein.“

Unsere Neugier ist endgültig geweckt. Wir haken nach: Gibt es denn Möglichkeiten zur Beurteilung von städtebaulicher Schönheit oder müssen wir uns da auf unser Bauchgefühl verlassen? Christoph Mäckler schmunzelt: „Nein, ganz im Gegenteil. Die Bäuche von Hermann, Christina oder auch Peter dürfen keine Rolle spielen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Es gibt verschiedene Ideen und Ansätze, für deren Berücksichtigung wir kämpfen.“ Hinter uns stellt sich Birgit Roth mitten auf die Kreuzung: „Also, wie kann man es besser machen? Das muss doch unsere Aufgabe sein, oder? Zum Beispiel, indem wir das klassische Eckhaus wiederbeleben.

Hier an dieser Kreuzung sieht man an drei Blockecken guten Städtebau aus der Gründerzeit und ein völliges Missverständnis beim Wiederaufbau der vierten Ecke. Während die abgeschrägten Eckhäuser einen Platz formen und über die diagonale Erschließungen die Cafés und Läden im Erdgeschoss besonders herausheben, wendet sich das Haus aus den sechziger Jahren gegen das Prinzip. So entsteht weder Platz noch Raum. Und auch generell gilt, dass das Aufgreifen und Fortführen von Fluchten enorm wichtig für die Bildung einer Stadt ist.“

Wie die Wohnzimmerwand

Wir gehen die Straße runter, suchen nach weiteren Beispielen, über die wir sprechen können. Nach fünf Minuten wird Christoph Mäckler fündig: „Schauen Sie, das sind klassische Schmuckfassaden, wie sie früher typisch waren. In der Gestaltung wurde die zur Straße liegende Fassade gesondert betrachtet. Die seitlichen und rückwärtigen Fassaden können viel einfacher sein. Die Straßenfassade ist die einzige öffentlich relevante Fassade. Es gibt verschiedene additive Elemente, die die Fassade beleben. Gucken Sie sich nur einmal die Erker an, die dem Gebäude einen Rhythmus geben, und die überhohen Türen, die für Klarheit sorgen und den Eingangsbereich besonders definieren. Außerdem hat jedes Gebäude seine eigene Farbe – was sehr identitätsstiftend wirkt.“

Und dabei darf jeder die Elemente hinzufügen oder die Farbe wählen, die er will, fragen wir verunsichert nach. „Nein, das Gesamtbild muss in jedem Fall harmonisch bleiben. Über Geschmack lässt sich natürlich immer streiten, aber ich vermute mal, dass Sie in Ihrem Wohnzimmer auch nicht eine Wand lila und eine in knallorange streichen würden, oder?“ entgegnet uns Birgit Roth. „Und erlauben Sie mir noch eine Anmerkung", lenkt Christoph Mäckler ein und schaut mit uns erneut auf die Gebäudefront. „Hätten Sie gedacht, dass sich hinter dieser Gebäudefront serielles Wohnen verbirgt? Alle Wohnungen haben ein und denselben Grundriss und trotzdem lassen sich durch variierende Fassaden Einzelhäuser ablesen. Nur mal so als Anregung.“

Erklärt sich von selbst

Wir spazieren weiter, bleiben kurz vor einer Hauswand ohne Fenster stehen. „Das ist der Tod einer jeden Stadt. Ich denke, das ist Ihnen spätestens jetzt klar, oder?“ Guckt uns Christoph Mäckler an. Wir nicken und halten uns nicht weiter mit dem Gebäude auf. Und auch nicht mit den Beeten aus L-Steinen auf dem Fußgängerweg, die in den Augen von Christoph Mäckler „an Hässlichkeit nicht zu übertreffen sind“. Und „schon längst zur Selbstverständlichkeit geworden sein müsste“ für Birgit Roth die Regelmäßigkeit von Baumreihen, um einen echten Alleecharakter im Straßenraum zu erreichen.  

Einen Block weiter lauern wir durch ein offenes Tor in eine Autowerkstatt, die sich hier im Hof befindet. Plötzlich kommt der Besitzer gut gelaunt zu uns heraus: „Wir sind hier geduldet.“ Damit zaubert er Birgit Roth ein Lächeln ins Gesicht: „Stört sich niemand daran, wenn Sie hier – mitten im Wohnblock – mal an einem Auto herumhämmern?“ Stolz erklärt er uns, dass er und seine Nachbarn miteinander und nicht gegeneinander leben: „Mit den lauteren Arbeiten wandern wir so weit wie möglich ins Innere des Gebäudes oder schließen das Tor, damit die Geräuschkulisse in den anliegenden Wohnungen nicht zu laut wird. Und wenn wir die leiseren Arbeiten hier im Hof ausführen, stört das niemanden. Außerdem sind wir abends und nachts die leisesten Nachbarn der Welt“, zwinkert uns der Werkstattbesitzer beim Reingehen zu. 

Christoph Mäckler freut sich über diese zufällige Begegnung: „Daran sieht man, dass eine funktionale Mischung von innerstädtischen Straßenzügen und Vierteln sehr gut funktioniert. Und genau dieser gemischte Charakter ist in vielen Bebauungsplänen leider nicht mehr vorgesehen, aber das ist ein fataler Fehler. Leben und Arbeiten müssen an einem Ort stattfinden. Wenn dort gelebt wird, wo auch gearbeitet wird, dann ist an diesem Ort auch immer etwas los. Wir müssen nicht raus ins Industriegebiet zum Arbeiten oder auf die grüne Wiese zum Einkaufen. All das muss sich unbedingt wieder viel stärker in unseren Städten abspielen. Und ja, die Stadt ist ein Ort der Gemeinschaft, an dem man auch Kompromisse eingehen muss. Aber Sie sehen ja an diesem Beispiel, wie hervorragend das funktionieren kann.“

Leben und Arbeiten müssen an einem Ort stattfinden.

Da vorne steht schon das Auto von Christoph Mäckler und Birgit Roth – wie die Zeit verfliegt. Einen Punkt wollen die beiden aber unbedingt noch ansprechen. „Auch wenn der öffentliche Raum der eigentliche städtische Raum ist, so ist die andere Seite der Münze eben der private Raum“, betont Birgt Roth. „Da sind die Planer ebenso gefragt. Jeder von uns braucht seine Rückzugsmöglichkeit und diese kreiert man als Entwickler schon mit kleinen Handgriffen. Schauen Sie sich zum Beispiel dieses Hochparterre an. Da kann niemand vom Gehweg aus in die Wohnung schauen. Da vorne hingegen, kann ich den Bewohnern auf den Frühstücksteller gucken.“

Unser Blick wandert ein paar Häuser weiter zu einem verschlossenen Tor. „Das Tor an sich könnte natürlich schöner sein, aber es trennt zwei Räume voneinander. Im Privaten spielen die Kids Fußball und vorne findet das öffentliche Leben statt“, zeigt sich Christoph Mäckler begeistert. „Und sowieso: Wir sollten viel mehr von diesen Innenhöfen planen. Ihnen hängt zwar ein schmuddeliges Hinterhof-Image nach, aber das haben sie nicht verdient. Und in der Frankfurter Besonderheit, den hoch eingefassten Vorgärten, kann sogar auch einmal ein gemütliches Bänkchen stehen.“

Wir haben verlernt, wie Stadt geht.

Am Auto angekommen, zieht Birgit Roth ein Resümee: „Wir haben verlernt, wie Stadt geht. Und wir vom Institut haben uns zur Mission gemacht, unser Selbstverständnis von Stadtbaukunst wieder unter die Menschen zu bringen.“ Was uns angeht, sagen wir ihr, ist das Gelungen. Wir haben eine neue Blickweise auf das Thema Städtebau dazugewonnen. Und auch Christoph Mäckler richtet einen letzten Appell an uns: „Wir müssen nicht nur verstehen, sondern auch verinnerlichen, dass es nicht immer nur um höher, schneller und weiter geht. Die Städte sind unser aller Gemeinschaftsprojekt, zu dem jeder seinen Anteil beiträgt.“

Quelle: a|w|sobott, André Sobott