Quelle: prasch buken partner architekten partG mbB

So reanimieren wir unsere Innenstädte: Die Mischung macht's.

„Die Innenstädte drohen zu veröden“ – dies schrieben 2017 das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung und der Handelsverband Deutschland (HDE) in einer Studie. Aber: Es ist nicht zu spät, die Zentren wieder zu aktivieren.

Dieser Beitrag erschien zuerst für den Heuer Dialog zum "Immoblien-Dialog Osnabrück" am 27. Juni 2019. Alle Informationen zur Veranstaltung finden Sie hier.

Der Strukturwandel infolge des Online-Handels wird immer sichtbarer: Kundenschwund, Geschäftsaufgaben, Leerstand. Händler unterschreiben keine Mieterträge mehr oder nur solche, die Investoren ein enges Korsett umschnüren. Bis 2020 könnten laut Schätzung des HDE rund 50.000 Standorte – vor allem kleiner und mittelständischer Händler – vom Markt verschwinden. Der Marktaustritt führt zu Leerständen, die frei gewordenen Gewerbeflächen werden aber nur teilweise neu vermietet. Früher belebte und attraktive Stadtzentren verlieren an Zugkraft. Das Gesicht der Innenstädte verändert sich. Diese Entwicklung ist ein Aufruf an alle beteiligten Akteure, die Ärmel hochzukrempeln – und dazu zähle ich auch mich. Wir müssen gemeinsam an neuen Lösungen arbeiten.

Von kleinteilig bis langfristig

In vielen Köpfen sind Konzepte wie Kaufhallen oder klassische Shopping-Center fest verankert – da lässt sich nicht so leicht der Schalter umlegen. Doch der Nostalgie wegen alte Konzepte wieder aufleben zu lassen, kommt für uns nicht infrage. Der richtige Ansatzpunkt lautet: Welche Flächen braucht eine Stadt zukünftig? Die Nachnutzung von Leerständen benötigt neue konzeptionelle Ideen. Umdenken ist gefordert. Denn keiner weiß genau, wie der Handel oder andere Nutzungen sich kurzfristig entwickeln. Wir sind uns trotzdem sicher: Der Handel ist nicht tot. Aber er schafft es nicht mehr ganz alleine – der Umbruch muss mitgestaltet werden. Gute Konzepte sind eine Chance für Innenstädte.

Fallbeispiel: Neutor Arkaden Emden

Innenstädte verändern sich. Unsere Antwort darauf ist die Entwicklung hybrid genutzter Gebäude. Ein gutes Beispiel sind die Neutor Arkaden in Emden (Titelbild), in denen wir Einzelhandel, Hotel und Büro zusammenbringen. Weil die unterschiedlichen Mieter und Nutzer des Gebäudes voneinander profitieren, wird die eigene Nachbarschaft zum Erfolgsfaktor.

Kleinteilige, flexible Planung ist hier das Stichwort: Bringt man als Investor unterschiedliche Nutzungen in eine Immobilie ein, diversifiziert sich automatisch auch das Risiko und die Planungssicherheit steigt. Dieser multifunktionale Nutzungsmix spielt wiederum den Innenstädten in die Karten – denn eine Kombination aus beispielsweise Hotel, Büro, Dienstleistung und Handel schafft eine hohe Frequenz zu unterschiedlichen Tageszeiten. Es findet Privat- und Arbeitsleben unter einem Dach statt und holt Menschen in die Innenstadt.

In der Planungsphase dieser Konzepte wird häufig der Wunsch an uns herangetragen, Handel zu integrieren. Das ist teilweise auch bei einer gemischt genutzten Immobilie eine schwierige Aufgabe. Aufgrund der Marktentwicklungen möchten Händler flexibel sein, aber wir möchten langfristige Mietverträge, damit es nicht erneut zu Leerständen kommt. Händler verhalten sich selektiv. Beim Einzelhandel fokussieren wir uns deshalb in erster Linie auf den periodischen Bedarf.

Den Rahmen vergrößern

Man kann sich sicher sein, dass sich in der Zeit der Planung am Markt etwas verändert – das macht ein solches Projekt sehr komplex. Die Durchmischung der Mieter muss deshalb schon beim Planungsrecht so flexibel wie möglich bleiben. Somit rücken Stadt und Projektentwickler bei Innenstadtprojekten dieser Art näher zusammen. Dem Planungsrecht sind aktuell durch den Bebauungsplan strenge Grenzen gesetzt. Die Städte müssen den rechtlichen Rahmen aber erweitern – indem die Politik das Planungsrecht modifiziert. Das meint auch der HDE. Die Anpassung ist nötig, damit bestimmte Flächen in der Innenstadt realisierbar sind. Als Investor sollte man mehrere Nutzungen anfragen und sich damit Optionen offen halten können.

Wir stimmen uns immer sehr frühzeitig mit dem Stadtbaurat ab, damit er im Thema ist. Als allererstes besprechen wir, ob unsere Idee der Stadt gut tut. Die enge Abstimmung hat den Vorteil, dass die Stadt vorbereitet ist und die Umsetzung so schneller erfolgen und damit auch Leerstand verkürzt werden kann. In unserem Arbeitsalltag erleben wir das sehr positiv, denn die Städte sind meist offen für Projekte, die Leben im Stadtkern stattfinden lassen. Auch brauchen wir diese Offenheit, um ein für uns wirtschaftlich rentables Objekt zu realisieren.

Mit Mut in Zukunftsprojekte

Die Transformation hat auch zur Folge, dass sich nicht nur die Zusammensetzung von unterschiedlichen Nutzungen, sondern auch die Konzepte der Nutzer selber verändern. Im Handels-Bereich sind bereits Pilotprojekte gestartet. Der Innenstadt-Ikea in Hamburg-Altona oder der Pop-up-Store von Amazon in Berlin sind da nur zwei Beispiele. Zudem gehen wir davon aus, dass es in Zukunft mehr Showrooms geben wird, in denen sich Kunden die Ware ansehen und sie anschließend online bestellen. Die Rolle des stationären Einzelhandels verändert sich, online und offline werden verzahnt. Parallel treten neue Herausforderungen wie City-Logistik auf. Welche neuen Transportkonzepte werden benötigt? Wie werden die Paketmassen und die Warenlieferung in Zukunft aussehen? Oder wie wird Instant-Delivery organisiert?

Viele stehen neuen Retail-Konzepten noch skeptisch gegenüber. Rechnet sich das Geschäft? Da auch Investoren noch kritisch sind, werden nur wenige Pilotprojekte realisiert. Deshalb wünschen wir uns, dass alle Akteure mutiger werden. Das schließt uns ein – auch wir sind gerade erst dabei, das auszuprobieren.

Packen wir es an

Es ist nicht zu spät, die Innenstädte wieder attraktiv zu machen. Das Herz einer Stadt wird dann wieder nachhaltig lebendig, wenn alle Akteure die Köpfe zusammenstecken, die Fakten auf den Tisch legen und vorausschauen. So entstehen kluge Konzepte. Kleinteilige Planung, langfristige Mieter und ein modifiziertes Planungsrecht sind die wichtigsten Bestandteile. Um das zu meistern, müssen wir unseren Spürsinn immer weiter schärfen, sensibel für die kleinsten Anzeichen sein und uns vor allem darauf einlassen – als Entwickler und als Nutzer.

Quelle: prasch buken partner architekten partG mbB

Zur Person

Michael Garstka ist seit November 2014 geschäftsführender Gesellschafter des Projektentwicklers LIST Develop Commercial. Dieser entwickelt in ganz Deutschland gewerbliche Immobilienprojekte und Quartiere. Die Gesellschaft bringt Standort, Nutzer und Kapital zusammen. Im Verlauf eines Projektes erstellt sie Markt- und Standortanalysen, erwirbt Grundstücke und übernimmt im Anschluss sowohl die Planung und Realisierung als auch die Finanzierung, Vermietung und Vermarktung der Immobilie. Michael Garstka ist studierter Immobilienökonom und kann auf eine lange berufliche Laufbahn bei verschiedenen Projektentwicklungs- und Vermögensverwaltungsgesellschaften zurückblicken.