LIST auf den Punkt: Podiumsdiskussion mit Tim Schlüter, Markus Steppler, Michelle Pigulla, Sebastian Theißen und Jürgen Utz
Quelle: a|w|sobott, André Sobott

Kreislauffähigkeit: Was jetzt? – Podiumsdiskussion bei "LIST auf den Punkt."

Fragen über Fragen: In der vierten Auflage von „LIST auf den Punkt.“ haben wir einen genauen Blick auf die Kreislauffähigkeit in unserer Branche geworfen und wollten wissen: Wer kann es? Was bringt es? Der Zettel unseres Moderators Jürgen Utz war aber noch voller. In der Podiumsdiskussion drehte sich alles um eine dritte Frage: Wie wird’s was?

Holz als Baustoff, kurze Ausflüge in die Biodiversität und CO2 als entscheidende Größe für die Immobilienbranche – gewissermaßen hat sich in Köln auch der Kreis zu den drei vorangegangenen Themen von „LIST auf den Punkt.“ geschlossen. Wie sich alle Größen und Stakeholder der Branche gegenseitig beeinflussen, hat schon die Auswahl unserer Diskussionspartner klar gemacht. Neben unseren „LIST auf den Punkt.“-Speakern aus der Finanzwirtschaft (Michelle Pigulla (ehemals Fischer), Berlin Hyp) und den Innovationstreibern (Markus Steppler, DERIX Gruppe) waren auch Sebastian Theißen (LIST Eco) und Tim Schlüter, Head of Direct Real Estate des Vermögensverwalters Ampega Asset Management, dabei. Also rauf auf’s „LIST auf den Punkt.“-Sofa und rein in die Diskussion:

Wo stehen Vermögensverwalter beim Thema Kreislauffähigkeit aktuell?

Tim Schlüter: Als Bestandshalter gibt es ehrlicherweise noch kein Geschäftsmodell und es ist keins zu erkennen. Wir beschäftigen uns natürlich mit dem Thema, sind aber auch „nur“ Bestandshalter. Wir kaufen die Werte und optimieren sie im Bestand. Die Fragen zur Kreislauffähigkeit stellen wir uns im Moment im theoretischen Raum. Wir sind aber noch nicht aus dieser Gedankenwelt herausgekommen. Wenn wir wieder Projektentwicklung kaufen, uns für Projekt A oder B entscheiden müssen und über die Kriterien sprechen, kommt sicher auch Zirkularität in die Waagschale.

Worauf kommt’s an? Welche Fragen stellen sich für das Finanzwesen an die Projektentwicklung in Zukunft?

Michelle Pigulla: Wir haben bewusst in die Kategorien Neubau, Sanierung und Bestand unterteilt. Wenn jemand neu baut, kommt die Frage nach Gebäuderessourcenpass. Wir fragen: Tust du etwas in diese Richtung? Gibt es überhaupt Daten? Damit öffnen wir das Gespräch und zeigen: Wir als Bank interessieren uns dafür, wo der Kunde steht. Das kann aber erst zünden, wenn eine gewisse Menge von Daten da ist. Erst dann sind wir in der Lage, das bewerten und validieren zu können. Es gibt viele unterschiedliche Arten von Materialpässen, die erstellt werden und Berechnungslogiken. Erst wenn ich es bewerten kann, kann man in den qualitativen Austausch gehen. 

Warum nicht öfter? Die Hersteller sind der Schlüssel. Wieso gibt es nicht mehr Unternehmen und Innovationstreiber, die so arbeiten wie DERIX?

Markus Steppler: Das hängt auch vom Geschäftsmodell ab. Unser Geschäftsmodell ist, es Holz aus dem Wald vom Sägewerk einzukaufen und daraus Gebäude zu bauen. Wenn man merkt, dass es mit den Ressourcen in den nächsten 20 Jahren etwas schwieriger werden könnte, dann macht sich Gedanken: Was ist meine Ressource? Wo kommt der Rohstoff her? Nicht mehr nur aus dem Wald, sondern auch aus dem technischen Kreislauf. Wir wollen so viel wie möglich zurücknehmen, um es wiederzuverwenden. Dahinter steckt ein wirtschaftlicher Gedanke. Warum das nicht jeder macht? Es fängt schon bei der Regulatorik an: Versuch mal eine Steckdose woanders wieder einzubauen. Das geht nicht, weil sie dadurch die Zulassung verliert. Der Ball liegt also auch bei der Politik, die mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz eigentlich schon die Schlüssel in der Hand hält. Wenn man mal in die Ausschreibung wirklich reinschreibt, dass alle Materialien zurückgenommen werden müssen, oder dass es Carbon Credits gibt, dann kann man gar nicht so schnell gucken, wie die Branche sich dann mit diesen Fragestellungen beschäftigt und Lösungen findet.

Was hat sich in den vergangenen Jahren gut entwickelt und wer ist aber der Endgegner in der Praxis?

Sebastian Theißen: Es hat sich ein sehr großes Bewusstsein entwickelt, das mit der EU-Taxonomie richtig Fahrt aufgenommen hat. Das war der Arschtritt, den die Branche gebraucht hat. Die Nachfrage nach Gebäuderessourcenpässen ist zum Beispiel größer geworden – auch von öffentlichen Auftraggebern. Es geht auch mehr darum, wie man Informationen aus dem Bestand nehmen kann, um eine Entscheidung über einen Abriss oder eine Sanierung zu treffen. Das muss noch mehr gefördert werden. Der Endgegner ist in Deutschland vor allem Zeit. Man will etwas machen, aber in drei Wochen kommt schon der Bagger für den Rückbau. Dann kann man oft schon nicht mehr durchgehen und schauen, was ausgebaut und weiter genutzt werden kann. Wirtschaftlichkeit ist das andere riesige Thema. Man findet häufig einige Bauteile, die man eins zu eins wiederverwenden kann. Aber das ist noch keine kritische Masse. Für den Bestand braucht es also noch Zeit, damit sich Bewusstsein und Verwertungsoptionen weiterentwickeln.

Wer über Kreislaufwirtschaft redet, redet auch über CO2-Zertifikate. Ist die Kompensation über die Zertifikate und Carbon Credits auch für Banken interessant?

Michelle Pigulla: Das Prinzip ist ja eigentlich genial. Die Frage ist, ob unsere Kolleg:innen in der Bewertung des als wertsteigernden Faktor sehen. Die antworten dann immer: Ist der Markt bereit, mehr zu zahlen für das Gebäude? Auch da brauchen wir wieder die Daten in der Masse. Es reicht nicht, ein einzelnes Gebäude zu haben, wo das der Fall ist. Wenn es zwei gleichwertige Gebäude gibt, von denen eines das Zertifikatsystem als Extra mitbringt und das andere nicht  – ist der Markt dann bereit dafür mehr zu zahlen und ist das Gebäude dadurch mehr wert? Wir können die Wertunterschiede, etwa hinsichtlich der Energieeffizienz, fassen. Wenn wir den Dreh raushaben, ist das auch in der Bewertung zu berücksichtigen. Es gibt verschiedene Komponenten, an denen geschraubt werden kann: eine Risikokomponente, eine Wertkomponente und eine Margenkomponente. Die Musik spielt bei reinen Wertvorteilen.  

Sebastian Theißen: Das Land NRW hat genau das gemacht. Das hat dem Kreis Viersen erlaubt, den Rohstoff-Restwert beim Kreisarchiv abzuschreiben. Das war für die ein riesiger Vorteil in der Immobilienbewertung. Das ist das Vorzeigeprojekt. Da war die öffentliche Hand mal schneller als die Privatwirtschaft und hat diesen Erlass freigegeben. Der Kreis Viersen macht da jetzt weiter und geht sogar weiter. Es sollen zum Beispiel auch die Rohstoff-Restwerte in der TGA mitbewertet werden. Das ist spannend, wie innovativ ein einzelner Kreis da schon unterwegs ist.

Einwurf: Neubau, Bestandserhalt, Sanierung – Ja was denn nun? Haben Immobilien das Zeug für echten Impact?

Tim Schlüter: Die entscheidende Frage ist, in was in Zukunft überhaupt noch investiert werden kann. Was sollen wir in unserer Investmentstrategie zugrunde legen? Die ganze Diskussion spielt im Moment noch sehr im Bereich Projektentwicklung und Neubau. Ich glaube, dass wir sie in den Bestand verlagern müssen. Die Extreme, in denen wir die Diskussion führen, sind noch so weit auseinander, dass es wirklich schwer ist, als Bestandshalter den richtigen Anfang zu finden. Der Trigger kann nur der zukünftige Werterhalt einer Immobilie sein. Das ist aber eigentlich eine Scheindiskussion, weil das Thema immanent ist. Es ist klar, dass eine nicht nachhaltige Immobilie, die nicht verbrauchsarm ist, an Wert verlieren wird. Für uns als Bestandshalter kann es nur die Aufgabe sein, intrinsisch ressourcenarm damit umzugehen. 

Schlussrunde: Lass uns nochmal reden, ...

Tim Schlüter: ... Michelle. Ich würde gerne diskutieren, wie hoch der Risikoaufschlag zwischen einer ESG- und einer normalen Finanzierung ist.  

Markus Steppler: ... Tim. Ich komme gerne auf dich zurück, um zu fragen, was der Antrieb ist und was die Rahmenbedingungen sind, damit es ein Investment-Case wird.  

Sebastian Theißen: ... Tim. Auch ich würde mit dir über das Thema Bestand und darüber sprechen, welche Informationen es braucht und welche wir davon schon liefern können.

Michelle Pigulla: ... Markus. Ich würde mich mit dir gerne unterhalten vor dem Hintergrund des Mehrwerts für den Eigentümer, dass er sich gar nicht bewusst ist, welchen Mehrwert er da eigentlich hat. Genau das ist die Schnittstelle, die zu uns als Bank fehlt. Wer bei uns eine Finanzierung anfragt, weiß manchmal gar nicht, welche Schätze sie dort haben. Wir schaffen wir es also, dass die Informationen an uns weitergeleitet werden und wir mit der Qualität dieser Daten weiterarbeiten können. Dann haben wir die Datenmasse, die wir brauchen.

Schlussrunde: Das muss jetzt angeschoben werden.

Tim Schlüter: Wir müssen Kreislaufwirtschaft nicht immer nur als Bürde verstehen, sondern als Anreizreizsystem und damit als Selbstverständlichkeit. Das Thema liegt so sehr auf der Hand, dass wir einfach handeln müssen.

Markus Steppler: Wir gucken immer in die Niederlande. Die sind uns in Sachen Nachhaltigkeit fünf Jahre voraus. Was dort gerade passiert, kommt in fünf Jahren zu uns. Ich würde gerne ein Projekt realisieren, in dem es eine Projektgesellschaft mit Anteilseignern gibt, in der nicht Geld, sondern Material fließt. Das kommt als nächstes, das möchte ich mal prophezeien.

Sebastian Theißen: Ich würde total gerne mal ein reales Projekt und einen Showcase schaffen, der zeigt, dass sich zirkuläres Bauen auch wirtschaftlich lohnt. Da sind wir gerade dran, das komplett durchzurechnen mit allen Parametern und Einflüssen und es zu vergleichen. Wir wollen möglichst ambitioniert zirkulär denken und das mit Zahlen und Fakten untermauern. Wir brauchen das Zeichen, dass das geht.

Michelle Pigulla: Wir müssen den Austausch forcieren. Wir haben auch hier bei „LIST auf den Punkt.“ gemerkt: Es sind ganz viel Wissen, Daten und Lösungsideen da, die nur ineinandergreifen müssen. Das ist doch das Positive. Wir müssen die Lösungen nicht erfinden, sondern nur die richtigen Stellschrauben finden. Wenn wir alle ambitioniert sind, haben wir eine Chance, das in der richtigen Geschwindigkeit hinzubekommen.

Unser Fazit von Jürgen Utz: Raus aus der Zwickmühle, rein in die Zusammenarbeit!

„Die Relevanz von Materialien für unsere CO2-Emissionen und Biodiversität ist zentral – und damit wird Zirkularität absehbar zum Erfolgsfaktor. Denn die Klimaziele 2040 sind schwer erreichbar mit Gebäuden, die nicht-zirkulär gebaut oder saniert wurden. Ein echter Risikofaktor, auch weil der Verbrauch an neuen Ressourcen sowieso drastisch runter muss. Es gilt also, die Logik der Kreislaufwirtschaft sowie die Anforderungen der Finanzwirtschaft für die notwendige Transformation nun in die Praxis zu bringen. Stranded Assets wird es sonst nicht nur vor dem Hintergrund von CO2 aus dem Betrieb, sondern auch aufgrund fehlender Zirkularität geben, sobald sich der Rückbau oder Umbau nicht mehr lohnt, weil die Materialien nicht im Kreislauf nutzbar sind.

Alle Akteure müssen sich nun bewegen, um die strukturellen Blockaden zu beseitigen. Die Banken brauchen Daten, damit Zirkularität in der Bewertung berücksichtigen werden kann. Viele Daten können Hersteller und Planer bereits liefern. Gleichzeitig investieren Bauherren leichter dann, wenn die Mehrwerte klar sind. Diese „Henne-Ei-Patt-Situation” gilt es nun gemeinsam aufzulösen. Es ist an der Zeit, dass die Investoren den Business-Case aktivieren, sonst wird die Politik eingreifen müssen.”

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