Quelle: a|w|sobott, André Sobott

Jeder Stein ein Unikat. Der langlebige Stoff, aus dem die Häuser sind.

Wie aus Ton und Wasser ein Backstein wird, kann man schlecht im Büro vermitteln. Deshalb geht es raus auf das Werksgelände. Dirk Deppe läuft zwischen großen Hügeln aus Ton, Lehm, Sand und Schamotte hindurch. Zehn Millionen Backsteine lagern auf dem Gelände der Ziegelei im niedersächsischen Uelsen. Ein Großteil von ihnen ist bereits verkauft, produziert auf Bestellung. Backstein ist schließlich nicht gleich Backstein.

Die Ziegel unterscheiden sich in Form, Größe, Textur und Farbe. Manche sind dunkelrot, andere orange- oder ockerfarben, einige haben dunkle Sinterungen und Kohlebrandspuren. Jede Charge hat ihre eigene Rezeptur. Die genaue Mischung bleibt geheim. Dabei sind die grundlegenden Zutaten über Jahrhunderte die gleichen geblieben. Backsteine bestehen immer noch hauptsächlich aus Ton und Lehm, natürliche Rohstoffe, die sie hier in der Ziegelei Deppe überwiegend im Umkreis von wenigen hundert Metern aus der Erde baggern. „Backstein ist ein regionaler, langlebiger und nachhaltiger Baustoff“, sagt Dirk Deppe, Geschäftsführer der Ziegelei.

Durch das Eisen wird der Klinker rot.

Er bleibt vor einem hohen Erdhaufen stehen, nimmt ein wenig der bröckeligen Masse und reibt sie zwischen den Fingern. Es ist Ton, dunkel, fast schwarz, weich und feinporig. „Unser regionales Produkt“, sagt der 49-Jährige, „das erkennt man nach dem Brennen an seiner Farbe.“ Die Tonerde aus den Gruben der Region ist mit Eisen durchsetzt. Das oxidiert bei starker Hitze und verleiht dem Klinker seine rote Farbe, die ihn zum typischen Erkennungsmerkmal norddeutscher und niederländischer Häuser macht.

Weiter geht es in die hohe Werkshalle hinein. Förderbänder laufen kreuz und quer durch den Raum, dazwischen rattern laut Maschinen. Ein Radladerfahrer kippt die richtige Mischung der Rohstoffe in den sogenannten Beschicker, einen großen Behälter, von dort wird die Masse weiter über ein Förderband in eine Anlage transportiert, mit Wasser gemischt und im Mahlwerk, dem Kollergang, von zwei gewaltigen Stahlrädern zerkleinert.

„Man muss sich spezialisieren.“

Dirk Deppe ist schon als Kind durch die Hallen gelaufen, als Jugendlicher hat er in den Ferien mit dem Gabelstapler die Ziegel in die Trockenkammern gefahren. Heute läuft das alles vollautomatisiert. Ofenwagen, voll beladen mit bis zu 5.000 Backsteinen, bewegen sich allein auf Schienen durch die Halle. Roboter säubern sie nach ihrem Einsatz. An dem grundlegenden Prozess aber, wie Backsteine hergestellt werden, hat sich über die Jahrhunderte kaum etwas geändert: Ton wird mit Wasser gemischt, geformt, getrocknet und schließlich gebrannt.

Dirk Deppe hat Glastechnik und Keramik studiert, 2005 die Ziegelei von seinem Vater übernommen und leitet sie bereits in fünfter Generation. Sein Ururgroßvater hatte 1888 angefangen, Ziegel zu brennen. Längst produzieren sie hier keine Pflastersteine oder Dachziegel mehr, sondern Fassadenklinker. „Man muss sich spezialisieren“, sagt Dirk Deppe. Er versteht seine Ziegelei als Manufaktur, will keine Massenware herstellen, sondern gemeinsam mit Architekt:innen und Bauherren individuelle Formsteine für besondere Fassaden entwickeln.

Es entstehen keine Abfälle.

Ein solches Vorzeigeobjekt ist zum Beispiel die Bremer Landesbank, gebaut von Caruso St. John Architects aus London. „Unser Game-Changer und Türöffner“, wie Dirk Deppe es nennt. Seitdem sie die Klinker für das wellenförmige Fassadenrelief in der Bremer Altstadt entwickelt haben, ist die Ziegelei aus Uelsen international bekannt. Sie exportieren Steine nach England und in die Niederlande, die schon lange ein wichtiger Absatzmarkt sind.

In der Werkshalle der Ziegelei wird die feuchte Masse in eine Presse transportiert, wo sie geformt wird. Fertig ist der Rohziegel. Drei verschiedene Pressen erzeugen unterschiedliche Formen und spezielle Aufsätze können, je nach Wunsch der Kunden, individuelle Steine und spezielle Formsteine herstellen. Ein Mitarbeiter kontrolliert die frischen Ziegel, die über ein Förderband laufen. Hat ein Stein Mängel, sortiert er ihn aus. „Abfälle haben wir bei dem gesamten Produktionsprozess keine“, sagt Dirk Deppe, „alles wird wieder aufbereitet.“

Backstein gewinnt Patina und Charakter.

Die Zahl der Ziegeleien in Deutschland ist in den vergangenen Jahrzehnten stark geschrumpft. Der Backstein wurde zunehmend von anderen Baustoffen wie Wärmedämmverbundsystemen verdrängt. Das haben sie in der Ziegelei in Uelsen zwar auch zu spüren bekommen. „Backstein wurde immer mal wieder für tot erklärt“, sagt Dirk Deppe. Aber seit einigen Jahren erlebt die Klinkerfassade eine Renaissance. Immer mehr Architekturbüros besinnen sich auf all das, was im Ziegel steckt. Das sind nicht nur die regionalen Rohstoffe. Er ist zudem beständig, robust, wartungsarm, kann recyclet und neu verbaut werden. Anders als Wärmedämmverbundsysteme verliert ein Ziegel mit der Zeit nicht an Wert, sondern gewinnt sogar noch an Patina und Charakter.

Noch sind die frisch geformten Backsteine, die aufgereiht auf dem Förderband durch die Halle fahren, feucht und formbar. Eine Maschine stapelt sie mit etwas Abstand auf einem Wagen. Dirk Deppe betritt einen Kontrollraum, von dem aus man durch Fenster auf die großen Tore der zehn Trockenkammern blickt. Wie mit einem Fön wird darin warme, aus den Öfen gewonnene Abluft zwischen die Backsteine geblasen, um sie langsam zu trocknen. 25.000 Steine passen in jede Trockenkammer.

Auf einem Computerbildschirm zeigt Dirk Deppe, wo welcher Wagen steht, wie viele Steine er geladen hat, wie hoch die Temperatur in der Trockenkammer ist, wie feucht die Luft ist und wie lange die Steine dort schon trocknen. Ziegel brauchen Zeit. Bis zu vier Tage müssen sie in die Trockenkammer, bevor sie gebrannt werden können.

Im Ofen lodern die Flammen.

Danach geht es ins Herzstück der Ziegelei, zu einem der beiden Öfen. Dirk Deppe führt zum Ausgang des 80 Meter langen Tunnels. Hitze dringt heraus. Weit im Inneren des Ofens, zwischen den aufgestapelten Steinen, lodern orangerote Flammen in der Dunkelheit. In dem Ofen durchfahren die Backsteine langsam eine Temperaturkurve, die in der Spitze 1.200 Grad erreicht. Danach kühlen sie langsam wieder ab. Nur so verbinden sich die Rohstoffe zu einem stabilen Stein, der nicht brüchig wird. Wer Backsteine herstellen will, braucht Hitze. Das war schon immer so. Angesichts der Klimaerwärmung und der gestiegenen Energiekosten ist das aber zu einer enormen Herausforderung geworden.

Den Ofen nachts oder am Wochenende abschalten? „Das geht nicht“, sagt Dirk Deppe. Er muss langsam hoch- und wieder heruntergefahren werden, was allein mehrere Tage dauert. Das Feuer brennt 24 Stunden, 365 Tage im Jahr. Eigentlich. Im Dezember 2023 mussten sie beide Öfen abschalten. Es war das erste Mal seit zehn Jahren. Der Immobilienmarkt war stark zurückgegangen, die Nachfrage nach Backsteinen gesunken und gleichzeitig waren die Energiekosten explodiert.

„Die Energiekosten belasten uns sehr stark.“

60.000 Tonnen Backsteine produzieren sie in der Ziegelei Deppe im Jahr. Um die zu mischen, zu formen, sie zu bewegen, zu trocknen, zu brennen, zu sortieren und zu verpacken, braucht es Energie. Sehr viel. 40 Millionen Kilowattstunden Gas jährlich, das ist ungefähr so viel, wie 2.000 Haushalte mit vier Personen verbrauchen. Hinzu kommen 3,6 Millionen Kilowattstunden Strom. „Die Energiekosten belasten uns sehr stark“, sagt Dirk Deppe.

Die Öfen werden mit Erdgas betrieben, sie zu elektrifizieren ist bei den hohen Temperaturen wirtschaftlich nicht einfach und kann nur schrittweise erfolgen. Die Abwärme der Öfen nutzen sie schon lange für die Trockner, eine Mikrogasturbine erzeugt Strom und die Abwärme wird in der Fertigung genutzt. Eine Rauchgaswärmerückgewinnungsanlage macht die Wärme aus dem Abgasstrom per Wärmetauscher für den Vorwärmer und Trockner nutzbar. Eine Photovoltaikanlage haben sie auf dem Dach der Ziegelei installiert und in eine neue Verpackungsanlage investiert, die statt mit Erdgas elektrisch betrieben wird.

Gern würde er ein Windrad er- richten.

„Energie ist ein riesiges Thema“, sagt Dirk Deppe. „Wir arbeiten jeden Tag an der Frage, wie wir Kohlenstoffdioxid einsparen können.“ Er hat eigens dafür einen Umweltingenieur eingestellt, der Lösungen erarbeitet. Gern würde er eine eigene Windkraftanlage auf dem Gelände errichten, doch die bürokratischen Hürden sind hoch. So hoch, dass eine Nutzung möglicherweise am Ende noch nicht einmal mehr wirtschaftlich wäre.

Vor kurzem haben sie auch im zweiten Ofen wieder das Feuer gezündet. Die Auftragslage wird langsam besser. Am Ausgang von einem der beiden Öfen steht ein voll beladener Wagen. Dirk Deppe nimmt einen Backstein herunter, er ist noch warm und hat nun die typische rote Ziegelsteinfarbe. Jetzt ist er auch hart und stabil. Dafür hat er viel Energie gebraucht, doch zum einen sind seine Rohstoffe natürlichen Ursprungs. Zum anderen bleibt jeder Ziegel im besten Fall nun sehr lange im Einsatz. „Backsteingebäude baut man nicht für 50 Jahre“, sagt Dirk Deppe, „sie stehen 100 Jahre oder länger.“

Quelle: a|w|sobott, André Sobott
Über Deppe.

60.000 Tonnen Backsteine produziert die Ziegelei Deppe im Jahr. Der Prozess ist seit Jahrhunderten derselbe: Ton wird mit Wasser gemischt, geformt, getrocknet und gebrannt. Und doch ist Backstein nicht gleich Backstein. Warum seine Ziegelei keine Massenware herstellt, erklärt Dirk Deppe, der das Unternehmen bereits in fünfter Familiengeneration leitet. Bei einer Führung durch die Ziegelei zeigt er, warum der Backstein zwar ein energieintensiver, aber trotzdem nachhaltiger Baustoff ist und wie er seinen Betrieb für die Zukunft aufstellt.

Abfälle entstehen bei dem
Produktionsprozess keine, alles wird
wieder aufbereitet.

Bevor die Ziegel gebrannt werden,
trocknen sie bis zu vier Tage in der
Trockenkammer.

Mit speziellen Aufsätzen können
individuelle Steine und spezielle
Formsteine hergestellt werden.

80 Meter lang sind die beiden Tunnel, in
denen die Steine bei bis zu 1.200 Grad
erhitzt werden.

Für die eigenen Büroneubauten in Nordhorn und Bielefeld hat die LIST Gruppe mit Deppe Backstein zusammengearbeitet. Unser Ziel als LIST Gruppe war es, das Innere des Gebäudes nach außen zu transportieren und Offenheit sowie Transparenz sichtbar zu machen. Dafür experimentieren wir gemeinsam mit den verfügbaren Materialien und gehen neue Wege: Wir schneiden die Ziegel auf, drehen sie um und bringen das Verborgene ans Licht.