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Dekarbonisierung über den Lebenszyklus. Den CO2-Preis verstehen.

Für die Immobilienbranche gibt es zwei bedeutsame, neue Faktoren in den Gleichungen: der zukünftige CO₂-Preis und die zukünftigen Klimaveränderungen. Damit stehen wir an einem Wendepunkt: CO₂-Emissionen sind längst keine theoretische Größe mehr, sondern eine konkrete Währung, die den wirtschaftlichen Erfolg von Immobilien stark beeinflusst.

Mit weiter steigenden CO₂-Preisen und immer strengeren Vorschriften rückt der Lebenszyklus eines Gebäudes in den Mittelpunkt der Betrachtungen. Wir müssen über die Optimierung der Energieeffizienz von Gebäuden in der Nutzungsphase hinausdenken – eine ganzheitliche Betrachtung der CO₂-Bilanz von der Planung über den Bau bis hin zum Rückbau ist unerlässlich. Nur so sind die Klimaziele der EU und Deutschlands im Immobiliensektor erreichbar, wo der überwiegende Teil des Bestands und Neubau 2045 noch da sein wird, wenn wir Klimaneutralität erreicht haben wollen.

Der Großteil der Emissionen einer Immobilie entsteht bereits während der Bauphase. Hier liegt großes Optimierungspotenzial. Der Einsatz nachhaltiger Baumaterialien, wie beispielsweise recycelbarer Baustoffe oder Materialien mit einem geringen CO₂-Fußabdruck, kann die Emissionen erheblich senken. Idealerweise berücksichtigt man im Bau (gleichermaßen bei Neubau und Sanierung) auch wiederverwendete oder kreislauffähige Materialien (z.B. nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip).Dies verringert den Rohstoffeinsatz und   erhöht gleichzeitig die zukünftige Flexibilität bzgl. Rück- und Umbaubarkeit einer Immobilie.
Ein weiterer entscheidender Faktor ist die Technische Gebäudeausrüstung (TGA). Durch den Einsatz von beispielsweise energieeffizienten Heiz- und Kühlsystemen oder intelligenter Gebäudeautomation lässt sich der Energieverbrauch vor allem im Bestand drastisch senken – das betrifft dann die Nutzungsphase. Langfristig reduziert dies sowohl CO₂-Emissionen als auch Betriebskosten, was die Wirtschaftlichkeit und damit die Attraktivität der Immobilie am Markt erhöht.

Alle Einflüsse mitdenken.

Zu einer Verringerung der CO2-Emissionen soll auch der Emissionshandel beitragen. Das Prinzip ist verhältnismäßig simpel: Es werden Obergrenzen für den CO2-Ausstoß gesetzt und sukzessive abgesenkt. Zum einen um die Klimaschutzziele zu erreichen und zum anderen um das Wirtschaften ohne CO2 voranzubringen. Wer mehr CO2 ausstoßen möchte, muss über Zertifikate das Recht dafür erwerben. Damit verursacht ein hoher Emissionsausstoß entsprechende Kosten, CO2 erhält einen Preis, der sich immer weiter erhöht. Dieser wirkt sich direkt auf die Wirtschaftlichkeit einer Immobilie aus.   
Das heißt umgekehrt: Unternehmen, die heute in CO2-arme und klimaresiliente Gebäude investieren, stellen sich auf die kommenden Herausforderungen ein. Denn Klimaschutz nützt an vielen Stellen: Einerseits vor hohen CO2-Kosten sowie durch die Verzögerung des Klimawandels auch vor teuren Schadensereignissen (Überschwemmungen, Hitze, Sturm etc.) und hohen Kosten für Anpassungsbedarfe.   
Die Vorwegnahme regulatorischer Vorgaben durch freiwillige Maßnahmen – wie die Implementierung strengerer Emissionsstandards für Bau und Betrieb – kann somit langfristig die Wettbewerbsfähigkeit eines Immobilienportfolios sichern. Wer frühzeitig in nachhaltige Bauweisen und zukunftssichere Technologien investiert, reduziert das Risiko finanzieller Einbußen und bleibt gegenüber Mitbewerbern im Vorteil. Investieren wir nicht, schaden wir uns mittelfristig selbst, weil der wirtschaftliche Schaden durch Klimaereignisse (Starkregen, Hitze etc.) zunehmen wird.

Zusätzlich zu den wirtschaftlichen Anreizen, die durch den CO₂-Preis entstehen, nimmt auch der Druck von Investoren und Mietern zu. ESG-Kriterien (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) spielen eine immer größere Rolle bei der Bewertung von Immobilieninvestments. Eine schlechte CO₂-Bilanz beeinflusst den Wert einer Immobilie negativ und schreckt heute schon potenzielle Investoren und Finanzierungsgeber ab.   
Auch bedingt durch die CSRD steigen zudem die Anforderungen seitens der Banken und Unternehmen – physische Klimarisiken werden noch stärker berücksichtigt, CO2-Zielwerte gesetzt und Dekarbonisierungsstrategien sind zu erarbeiten und einzuhalten.

Letztlich steht die Immobilienwirtschaft vor der Aufgabe, den gesamten Lebenszyklus von Gebäuden neu zu denken. Eine frühzeitige Integration von Nachhaltigkeitskonzepten und emissionsmindernden Maßnahmen wird nicht nur den CO₂-Fußabdruck reduzieren, sondern auch den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg von Immobilien sichern. Der CO₂-Preis fungiert dabei als deutlicher Indikator für die Richtung, in die sich der Markt bewegt: hin zu einer klimafreundlicheren, nachhaltigeren Zukunft.

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Über die Autoren.

Jürgen Utz ist seit über 15 Jahren im Bereich Nachhaltigkeit aktiv. Seit 2022 leitet er die Nachhaltigkeitsentwicklung der LIST Gruppe, zuvor war er u. a. Leiter der DGNB-Akademie. Er ist DGNB-Auditor, Mitglied im ESG-Fachbeirat des FondsForum und wirkte an der DIN SPEC 91475 mit. Utz teilt sein Wissen in Vorträgen, Publikationen und als Dozent, mit Fokus auf die CSRD und Biodiversität.

Benedikt Scholler, Bereichsleiter Beratung von LIST Eco, ist seit über 15 Jahren beratend und planerisch an der Entwicklung von energieeffizienten, nachhaltigen und kreislauffähigen Gebäuden, Quartieren und Portfolien beteiligt. Er ist Experte für ESG, Energie und Nachhaltigkeit im Immobilienbereich und DGNB-Auditor und wirkte ebenfalls an der DIN SPEC 91475 mit.